In wenigen Tagen ist es soweit und das neue Jahr, für das ich Ihnen Glück, Gesundheit und, nicht zu vergessen, auch eine gehörige Portion Gelassenheit wünsche, beginnt.

Gelassenheit habe ich in den vergangenen Monaten an mancherlei Stellen vermisst. Die Coronapandemie hat uns alle – ob nun im medizinischen oder pflegerischen Bereich, in einer Behörde, als Bewohner in einem Pflegeheim, als Betreiber eines Restaurants oder einfach als Bundesbürger – sehr gefordert. Trauer um Angehörige, Ängste um das wirtschaftliche Überleben, Überforderung bei zu knappen Personalressourcen, anfänglich fehlende wissenschaftliche Erkenntnisse und nicht zuletzt fehlende menschliche Begegnungen haben Verunsicherung ausgelöst. Während manche Menschen sich in derartigen Situationen gänzlich zurückziehen, gehen andere vermehrt in eine konfrontative, wenn nicht gar aggressive Haltung. Ein Übermaß an Emotionen erschwert den Austausch jedoch nicht nur im privaten Umfeld, sondern auch im gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Bereich. Blind vor Wut oder starr vor Angst – beides bereitet mir Unbehagen, denn in diesen Gemütslagen ist ein rationaler Austausch nicht mehr möglich. Aber genau das brauchen wir jetzt unbedingt. Unser Leben wird wahrscheinlich auch nach der hoffentlich bald erfolgten Impfung ausreichend großer Bevölkerungsanteile nicht mehr so sein, wie es vor der Coronapandemie war. SARS-CoV-2 hat uns deutlich vor Augen geführt, dass wir in großen Teilen ein wenig blauäugig und vielleicht auch leichtsinnig waren, denn Infektionskrankheiten verschonen auch Deutschland nicht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gilt daher auch die Aussage „Nach der Pandemie ist vor der Pandemie.“ Wir sollten deshalb mit Respekt vor dem Gegenüber wie auch mit Respekt vor der Krankheit, aber nicht angsterfüllt daran gehen, uns künftigen Herausforderungen zu stellen. Weder Verharmlosung noch Panikmache sind dabei hilfreich. Auch die Medien einschließlich der sogenannten sozialen Medien sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein, unabhängige und faktenbasierte Informationen übersichtlich, verständlich und ohne Effekthascherei zu präsentieren.

Verantwortliches Handeln ist integraler Bestandteil des ärztlichen Berufs. Das haben die hessischen Ärztinnen und Ärzte einmal mehr mit ihrer beeindruckenden Bereitschaft zum Engagement bei der Bekämpfung der Coronapandemie bewiesen. Dem Aufruf der Landesärztekammer Hessen, sich freiwillig für die Arbeit in den vom Land geplanten Impfzentren zur Verfügung zu stellen, sind zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, aber auch Medizinische Fachangestellte und Medizinstudierende gefolgt. Ihnen allen danke ich bereits jetzt für Ihre Hilfe, ohne die eine Impfaktion in diesem Format nur schwerlich zu bewältigen wäre.

Verantwortung müssen auch Bund, Länder und Versicherungen übernehmen. Alle Krankenhäuser, die Betten freihalten sollen, müssen einen Ausgleich für Erlösausfälle erhalten. In einem seit Jahren auf Kante genähten System gibt es keine Reserven, die noch angezapft werden könnten. Der Schutzschirm für die niedergelassenen Praxen muss über das Jahresende 2020 hinaus verlängert werden, denn die nach wie vor zu hohen Infektionszahlen halten leider viele Menschen trotz der Hygienemaßnahmen von einem Arztbesuch ab. Und natürlich muss für die Coronaimpfung eine primäre und keine subsidiäre Staatshaftung greifen.

Nicht zuletzt müssen alle Bürgerinnen und Bürger gemeinsam Verantwortung übernehmen, indem sie sich an die allseits bekannten Hygieneregeln halten.

Als Staat und Gemeinschaft wie auch als Privatpersonen haben wir lernen müssen, dass wir verletzlich sind. Trotz der gewaltigen Fortschritte in Wissenschaft und Technik sind wir nicht unverwundbar. Gerade Ärztinnen und Ärzten fällt es nicht immer leicht anzuerkennen, dass unsere Möglichkeiten im Fall des Falles endlich sind.

Umso wichtiger ist es, sich gemeinsam dafür einzusetzen, absehbaren Problemen vorzubeugen. Ich hoffe sehr, dass die Ankündigungen, nach Bewältigung der akuten Coronakrise gemeinsam die entsprechenden Lehren und Konsequenzen zu ziehen, wahrgemacht werden. Weder Politiker noch Wissenschaftler noch Ärzte können dies alleine tun. Und genau dafür brauchen wir eine Kultur des Austausches über Fakten, gerne lebhaft und engagiert, aber immer auf dem Boden von Respekt und Achtung. Die hessischen Ärztinnen und Ärzte sind dazu bereit.

Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident