In einem rechtskräftigen Urteil vom 26. August 2020 (Az.: 25 A 2252/18.B) hat das Landesberufsgericht für Heilberufe bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (LBG) einige grundsätzliche Feststellungen getroffen, die sowohl allgemeine rechtliche Aspekte der Berufsaufsicht und ihrer verfahrensmäßigen Umsetzung als auch die Verhaltensregeln im Arzt-Patientenverhältnis betreffen. Nachfolgend soll der letztgenannte Komplex aufgegriffen werden.

Sachverhalt

Das Berufsgericht für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht Gießen (BG) hatte mit Urteil vom 5. September 2018 (Az.: 21 K 683/17.GI.B) einem Arzt wegen Verstoßes gegen § 7 Abs. 7 der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen (BO) unter Erteilung eines Verweises eine Geldbuße von 5.000 Euro auferlegt. Dagegen hatte der Verurteilte Berufung beim LBG eingelegt, die mit dem o. g. Urteil vom 26. August 2020 zurückgewiesen wurde.

Der beschuldigte Arzt war von den Eltern des damals noch minderjährigen Jugendlichen mit erheblicher Suchtproblematik um ärztliche Hilfe bei diesbezüglich anstehenden Entscheidungen, auch bezüglich einer Drogentherapie, gebeten worden. Es entstand ein Behandlungsverhältnis. Nach mehreren, gescheiterten, Therapieversuchen tauchte der inzwischen 20-jährige junge Mann wieder in seiner Praxis auf. Bei den Eltern hatte er Hausverbot erhalten, war mittel- und wohnungslos. Er erhielt vom Beschuldigten über mehrere Monate Medikamente, teilweise verschreibungspflichtige, gegen seine Entzugserscheinungen und u. a. eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Dort kam es zwischen beiden mindestens dreimal zu Anal- und Oralverkehr, den der Beschuldigte teilweise mit seinem Mobiltelefon filmte. Seit seinem Auftauchen in der Praxis wurde der junge Mann auch wieder als Patient in der Krankenakte geführt. Einige Zeit nach dem Auszug aus der Wohnung des Beschuldigten verstarb der junge Mann an den Folgen einer Mischintoxikation.

Sexuelle Kontakte im Arzt-Patientenverhältnis

Der Vorwurf, mit dem die Berufsgerichtsbarkeit sich auseinandersetzte, ging dahin, dass der Beschuldigte die grundlegende Verhaltensregel in der Berufsordnung verletzt hat, wonach Ärztinnen und Ärzte im Umgang mit Patientinnen und Patienten sexuelle Kontakte weder aufnehmen (noch dulden) dürfen (§ 7 Abs. 7 der geltenden Berufsordnung – wortgleich mit den entsprechenden Regelungen der Vorgängerfassungen).

Das LBG hält in Bestätigung des erstinstanzlichen Gerichts dieses „Abstinenzgebot“, welches über das Verbot des Missbrauchs der Behandlungssituation in § 174c Strafgesetzbuch (StGB) hinausgehe, für sinnvoll und erforderlich, um im Sinne der Grundregel ärztlichen Berufsrechts die gewissenhafte Berufsausübung und, in der Entsprechung, das dem Arzt oder der Ärztin entgegengebrachten Vertrauen zu sichern (vgl. § 22 Hessisches Heilberufsgesetz, HeilBG). Mit dem Gebot, sich sexueller Kontakte mit Patientinnen und Patienten gänzlich zu enthalten, solle das Arzt-Patientenverhältnis von jeglichen die Objektivität des Arztes oder der Ärztin beeinflussenden Faktoren freigehalten werden.

Auch sexuelle Kontakte in der Privatsphäre sind betroffen

Hier hatte der Arzt vorgetragen, es habe sich um einen privaten sexuellen Kontakt außerhalb seiner Praxisräume gehandelt, der berufsrechtlich irrelevant sei. Nach Auffassung des Gerichts kommt es dagegen nicht darauf an, wo der sexuelle Kontakt räumlich stattfindet. Entscheidend sei vielmehr, dass er während des Bestehens des Behandlungsverhältnisses „aufgenommen“ werde, egal, ob im beruflichen oder privaten Umfeld. Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen zum Sachverhalt, wonach der ursprünglich obdachlose Patient vom Beschuldigten über mehrere Monate eine private Wohnung zur Verfügung gestellt bekam, Medikamente und Geldzuwendungen erhielt, führt das Gericht dazu wörtlich aus: „Es soll vielmehr vermieden werden, dass ein Sexualpartner oder eine Sexualpartnerin eines Arztes oder einer Ärztin sich aufgrund dieses Verhältnisses Behandlungsvorteile verschafft, indem etwa ärztlich eigentlich nicht indizierte Behandlungsmethoden oder Verschreibung von nicht notwendigen Medikamenten begehrt werden, die der Arzt aufgrund der persönlichen Beziehung zu erbringen bereit ist. Um die Auswirkungen sexueller Beziehungen auf das Arzt-Patientenverhältnis „in beide Richtungen“ von vorneherein auszuschließen und andererseits auch den Arzt oder die Ärztin vor objektivitätseinschränkenden Einflüssen zu bewahren, ist das strikte „Abstinenzgebot“ in die Berufsordnung aufgenommen worden.

Aus dem Wortlaut der Regelung folge selbstverständlich, dass in bestehende Partnerbeziehungen nicht eingegriffen werden solle; dazu hatte die Verteidigung nämlich vorgebracht, ein derart striktes Abstinenzgebot verbiete beispielsweise einem Arzt, seine Ehefrau zu behandeln. Auf der Grundlage des in diesem Zusammenhang von der Verteidigung angeführten Urteils des Bundesgerichtshofs vom 14.04.2011 (Az.: 4 StR 669/10; juris, Rdnr. 38ff.) sei hier eine verfassungskonform einschränkende Auslegung der Regelung in der Berufsordnung geboten, da in die Satzungsautonomie der Ärzteschaft nur insoweit eingegriffen werden dürfe, „als dies unabdingbar erforderlich ist“. Soweit seine allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) betroffen sei, habe der behandelnde Arzt/die behandelnde Ärztin die Möglichkeit, das Arzt-Patientenverhältnis im Falle des Bedürfnisses nach sexuellen Kontakten zu beenden und die Behandlung durch eine(n) andere(n) Berufsangehörige(n) weiterführen zu lassen. Es bestünden somit Handlungsalternativen, sich berufspflichtkonform zu verhalten, die nicht als generell unzumutbar anzusehen seien.

Generelles Ahndungsbedürfnis von Verstößen

Das LBG hält es für unbedingt geboten, dass die Landesärztekammer in Ausübung ihrer gesetzlichen Verpflichtung, „die Erfüllung der Berufspflichten der Kammerangehörigen zu überwachen“ (§ 5 Abs. 1 Ziff. 1 HeilBG), in solchen Fällen regelmäßig berufsaufsichtlich einschreitet. Dazu führt das Gericht wörtlich aus:

„Das Vertrauen der Öffentlichkeit – und damit inbegriffen jedes einzelnen Patienten – in die sorgfältige und korrekte Durchführung der ärztlichen Tätigkeit ist grundlegend für die Erzielung von Behandlungserfolgen. Da in diesem Behandlungsverhältnis häufig eine beruflich bedingte Nähe – gegebenenfalls unter Ablegung der Bekleidung – und die persönliche Nähe durch die Angabe und das Eingestehen körperlicher oder seelischer Defizite erforderlich ist, muss sichergestellt sein, dass „übergriffiges Verhalten“ eines Arztes nicht zu befürchten ist. Außerdem muss gewährleistet werden, dass die ärztliche Objektivität nicht durch eine „sexuelle Komponente“ überlagert und damit eventuell beeinträchtigt wird. Ein Verstoß gegen den essenziellen Grundsatz der sexuellen Enthaltsamkeit in einem Behandlungsverhältnis erfordert in jedem Fall eine Ahndung im entsprechenden berufsrechtlichen Verfahren. Einer Beschädigung des Ansehens der Ärzteschaft ist in diesem Fall in besonderem Maße entgegenzutreten“.

Auf die weiteren, eingangs erwähnten, Darlegungen allgemein-rechtlicher, grundsätzlicher Art in diesem Urteil soll in einem späteren Beitrag eingegangen werden.

Christiane Loizides, Ermittlungsführerin der Berufsgerichtsabteilung der LÄKH, Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts a. D.

* § 7 Abs. 7 der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Hessen