Am 26. Februar dieses Jahres jährt sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass der § 217 des Strafgesetzbuchs (StGB), der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung verbot, gegen das Grundgesetz verstößt und somit unwirksam ist. Neben Sterbehilfeorganisationen hatten schwerkranke Menschen, aber auch Ärzte Verfassungsbeschwerde erhoben, da sie befürchteten, sich nach § 217 StGB strafbar zu machen, wenn sie Patienten beim Suizid helfen. Auch wenn viele erwartet hatten, dass der § 217 StGB nach dem Urteil geändert werden müsste, kam das Urteil in seiner Rigorosität einem Paukenschlag gleich. Denn jetzt geht es nicht mehr nur darum, ob schwer kranke Menschen ein Recht auf Hilfe bei der Selbsttötung haben, sondern dass das grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Dieses gilt unabhängig von Alter oder Krankheit und beinhaltet die Freiheit, dabei die Hilfe Dritter zu suchen und in Anspruch zu nehmen, so das BVerfG. Dieses Urteil rührt mit seinen deutlichen Worten an den Grundfesten unserer ethischen, moralischen, religiösen und ärztlichen Überzeugungen. Der Paukenschlag war so laut, dass bis jetzt – fast ein Jahr nach dem Urteil – viele immer noch in Schockstarre verharren. In der Begründung zum Urteil führt das BVerfG aus, dass der Gesetzgeber durchaus ein legitimes Recht habe, die Autonomie der persönlichen Entscheidung zu schützen. Dieses nun dringend notwendige prozedurale Konzept zur Sicherstellung der tatsächlichen Freiverantwortlichkeit der individuellen Entscheidung lässt aber auf sich warten, sicher nicht nur aufgrund der Pandemie. Derzeit sind die entscheidenden Voraussetzungen einer autonomen Entscheidung – Freiwilligkeit, Freiverantwortlichkeit, Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit – nicht geschützt. Pointiert ausgedrückt wäre es sogar möglich, vor einem Seniorenheim für einen Sterbehilfeverein zu werben. Gleichzeitig fehlt weitgehend die gesamtgesellschaftliche Diskussion. Krankheit, Siechtum und der Tod sind unbequeme und oft verdrängte Themen.

Sicher sind die jeweiligen individuellen Beurteilungen von Ärztinnen und Ärzten auch von der eigenen ärztlichen Berufserfahrung geprägt. Wir denken bei dieser Frage zuallererst an Schwerkranke, an Einstellung oder Begrenzung von Therapie, an die Inkaufnahme eines früheren Todes z. B. durch Schmerzmedikation. Um all das ging es aber bei diesem Urteil nicht. Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir es als ärztliche Aufgabe ansehen, Patienten, aber auch gesunden Menschen Medikamente zur Beendigung ihres Lebens zu geben. In den meisten Berufsordnungen der Landesärztekammern, auch in der hessischen, ist die Hilfe zur Selbsttötung (§ 16 BO) untersagt. Somit stehen die Berufsordnungen im Widerspruch zur Gesetzeslage und der deutsche Ärztetag wird darüber diskutieren, wie wir uns diesbezüglich positionieren. Aus meiner Sicht muss dem eine Bestimmung des ärztlichen Selbstverständnisses im Kontext der Suizidassistenz vorausgehen. Es ist unzweifelhaft ärztliche Aufgabe (§ 1 BO), das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen…, Leiden zu lindern und Sterbenden Beistand zu leisten. Das bedeutet, Hilfe beim Sterben zu leisten, aber Hilfe nicht zum Sterben. Gleichzeitig ist es richtig, wenn wir Ansprechpartner für Menschen sind, die aufgrund von Krankheit, Würde- oder Sinnverlust aus dem Leben scheiden wollen. Allein das offene Annehmen eines solchen Gesprächs, in dem Fürsorge für den suizidgefährdeten Menschen, aber auch Respekt vor der Selbstbestimmung im Vordergrund stehen, kann präventiv wirken. Den Wunsch eines Menschen zu respektieren, vielleicht sogar nachvollziehen zu können, heißt für mich aber nicht, diesen Wunsch auch gutheißen oder bei der Umsetzung helfen zu müssen. Meiner Meinung nach darf der Suizid nicht zu einer üblichen Handlungsoption und die Suizidbeihilfe nicht zu einer von mehreren ärztlichen Behandlungsoptionen werden.

Dr. med. Susanne Johna, Präsidiumsmitglied der LÄK Hessen, Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer, Landesverbandsvorsitzende des Marburger Bundes Hessen (MB) und 1. Vorsitzende des MB – Bundesverband

„Die Suizid-beihilfe darf nicht zu einer von mehreren ärztlichen Behandlungsoptionen werden.“