Eine quantitative Online-Befragung der Landesärztekammer Hessen

Dr. sc. hum. Dipl.-Soz. Iris Natanzon, Sabine Goldschmidt, Nina Walter, Silke Nahlinger, Dr. med. Edgar Pinkowski

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Dieser Artikel ist zuerst im Deutschen Ärzteblatt erschienen, Dtsch Arztebl 2021; 118 (42): A 1916–8.

Mindestens 91.100 der gemeldeten SARS-CoV-2-Infektionen betrafen laut Robert Koch-Institut im Juni 2021 Beschäftigte in deutschen Gesundheitseinrichtungen [1]. Zu diesem Zeitpunkt waren in Deutschland bereits 3,7 Millionen Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert, was einem Anteil von 4,5 % an der Gesamtbevölkerung entspricht.

Offizielle Angaben zur Anzahl infizierter Ärztinnen und Ärzte in Deutschland sowie deren SARS-CoV-2-Impfstatus sind nicht bekannt. Da ihr Beruf eine erhöhte Infektionsgefahr mit sich bringt und sie die medizinische Versorgung gewährleisten müssen, erscheint es jedoch wichtig, Zahlen zum Infektionsverlauf sowie die Impfquote in der Ärzteschaft zu evaluieren.

Tab. 1: SARS-CoV-2-lnfektionen nach Fachgebieten (Top 10), LÄK Hessen

Fachgebiet (n = 3.650)

Infektionen nach Fachgebiet

n

%

Gebiet Innere Medizin (n = 907)

155

17 %

Allgemeinmedizin (n = 866)

121

14 %

Kinder- und Jugendmedizin (n = 228)

31

14 %

Gebiet Chirurgie (n = 515)

72

14 %

Neurologie (n = 181)

22

12 %

Anästhesiologie (n = 392)

43

11 %

Augenheilkunde (n = 73)

8

11 %

Psychiatrie und Psychotherapie (n = 299)

27

9 %

Urologie (n = 99)

9

9 %

Haut- und Geschlechtskrankheiten (n = 90)

7

8 %

Erste Daten aus Hessen

Für Hessen liegt jetzt eine solche Erhebung vor. Im Rahmen einer quantitativen Online-Befragung wurden im Juli 2021 alle 31 019 berufstätigen Ärztinnen und Ärzte im Bundesland angeschrieben, um Informationen über die Anzahl an SARS-CoV-2-Infektionen, Infektionszeitpunkt und -ort sowie die Impfquote zu erhalten. Innerhalb einer Frist von zwei Wochen antworteten 23 %. Ausgewertet wurden die Antworten von 6.766 berufstätigen Teilnehmenden. Darunter waren Frauen mit 56 % in der Mehrzahl, 45 % kamen aus dem ambulanten und 41 % aus dem stationären Bereich. Bei den Fachgebieten waren Ärztinnen und Ärzte aus der Inneren Medizin oder Allgemeinmedizin mit jeweils 18 % am häufigsten vertreten, gefolgt von Chirurginnen und Chirurgen mit 10 %.

Gut 800 Befragte (12 %) gaben im Juli an, nachweislich mit SARS-CoV-2 infiziert gewesen zu sein. Zum gleichen Zeitpunkt hatten sich hingegen 7,8 % der hessischen und nur 4,5 % der deutschen Bevölkerung infiziert [2]. Damit lag der Anteil an Covid-19-infizierten Ärztinnen und Ärzten circa 50 % über der hessischen Bevölkerung und war fast dreimal so hoch wie in der deutschen Gesamtbevölkerung.

Mit 16 % verzeichnete der stationäre Bereich den höchsten Anteil an Covid-19-Erkrankungen unter der Ärzteschaft in Hessen. Die Zahlen decken sich mit einem Trend, den Daten der Berufsgenossenschaft für das Gesundheitswesen und die Wohlfahrtspflege (BGW) widerspiegeln: Auf je 1.000 Vollzeitbeschäftigte im Gesundheitswesen zählte die BGW bis Ende Oktober 2020 7,2 meldepflichtige SARS-CoV-2-Infektionen in Krankenhäusern und Kliniken, 3,5 Infektionen in der stationären Pflege und 1,4 Fälle in ambulanten Arztpraxen [3].

Das Durchschnittsalter der infizierten Ärztinnen und Ärzte lag bei 45,6 Jahren. Dabei wies die Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen mit 18 % den höchsten Anteil an SARS-CoV-2-Infektionen auf und die Gruppe der 50- bis 59-Jährigen mit 9 % den geringsten Anteil unter den jeweiligen Altersgruppen. Beim Vergleich der Fachgebietsgruppen waren mit 17 % die meisten SARS-CoV-2-Infektionen im Gebiet Innere Medizin zu beobachten, gefolgt von jeweils 14 % in den Fachgebieten Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendmedizin sowie Chirurgie (Tabelle 2, nur online).

Tab. 2: SARS-CoV-2-lnfektionsort nach Fachgebiet, Landesärztekammer Hessen versus SARS-CoV-2-Fälle Hessen

Fachgebiet (n = 414)

Gesamtzahl

Infektionsort

im beruflichen Umfeld

im privaten Umfeld

n

n

%

n

%

Gebiet Innere Medizin

125

113

90 %

12

10 %

Allgemeinmedizin

75

61

81 %

14

19 %

Gebiet Chirurgie

50

43

86 %

7

14 %

Anästhesiologie

31

25

81 %

6

19 %

Kinder- und Jugendmedizin

25

14

56 %

11

44 %

Psychiatrie und Psychotherapie

21

10

48 %

11

52 %

Frauenheilkunde und Geburtshilfe

17

8

47 %

9

53 %

Neurologie

15

9

60 %

6

40 %

Sonstige Angaben (u. a. Zusatz-Weiterbildung)

12

9

75 %

3

25 %

Radiologie

7

5

71 %

2

29 %

Urologie

6

5

83 %

1

17 %

Hals-Nasen-Ohrenheilkunde

5

3

60 %

2

40 %

Haut- und Geschlechtskrankheiten

5

2

40 %

3

60 %

Arbeitsmedizin

4

1

25 %

3

75 %

Augenheilkunde

4

4

100 %

0

0 %

Öffentliches Gesundheitswesen

3

2

67 %

1

33 %

Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie

1

0

0 %

1

100 %

Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie

1

1

100 %

0

0 %

Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie

1

1

100 %

0

0 %

Neurochirurgie

1

1

100 %

0

0 %

Nuklearmedizin

1

0

0 %

1

100 %

Pathologie

1

0

0 %

1

100 %

Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

1

0

0 %

1

100 %

Rechtsmedizin

1

1

100 %

0

0 %

Transfusionsmedizin

1

0

0 %

1

100 %

Ein Großteil, 75 %, der Teilnehmenden infizierte sich im beruflichen und 25 % im privaten Umfeld. Bei einer beruflich bedingten Infektion meldete fast jeder Zweite die Infektion der Unfallversicherung. Davon wurden 63 % als Berufskrankheit anerkannt. Deutlich darüber lag die Anerkennungsquote auf Bundesebene. Das geht aus einer Sondererhebung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) hervor: Von den im Jahr 2020 angezeigten 30.329 Verdachtsfällen auf eine beruflich erworbene Covid-19-Erkrankung hatte die DGUV fast 80 % noch im selben Jahr als Berufskrankheit anerkannt [4].

Hohe Impfquote

Die Frage nach einer vollständigen Impfung bestätigten 6.132 Ärztinnen und Ärzte, was einer Impfquote von 93 % in der hessischen Ärzteschaft entsprechen würde. Zwar gibt es keine vergleichbaren offiziellen Zahlen zur Impfquote von Personen im Gesundheitswesen aus anderen Ländern. Eine systematische Literaturrecherche vor dem weltweiten Impfbeginn ergab jedoch, dass die Impfakzeptanz unter den Beschäftigten im Gesundheitssektor zwischen 27 % und 77 % variierte [5]. Auch die kürzlich publizierte VOICE-Studie bescheinigte Ärztinnen und Ärzten in Deutschland eine Impfbereitschaft von 76,6 % , Medizinisch-technischen Angestellten und Pflegekräften hingegen nur 58,6 beziehungsweise 56,9 % [6]. Die Online-Befragung von 6.217 Beschäftigten im deutschen Gesundheitswesen hatte allerdings schon zwischen November 2020 und Januar 2021 stattgefunden.

Die hessische Impfquote bei Ärztinnen und Ärzten wäre somit relativ hoch. Sie könnte aber auch systematisch in sozial erwünschter Richtung verzerrt sein. Denn es ist nicht auszuschließen, dass eher geimpfte Ärztinnen und Ärzte die Frage nach der Impfung beantwortet haben. Zudem wurde der Impfzeitpunkt nicht abgefragt. Eine Aussage darüber, ob die Infektion vor oder nach der Impfung erfolgte, ist daher nicht möglich.

Bezogen auf die Altersgruppen verzeichneten die über 70-Jährigen mit 89 % sowie die unter 30-Jährigen mit 91 % die geringste Impfbeteiligung. Die weiblichen Befragten waren zu 92 % geimpft. Bei den männlichen Befragten lag der Anteil mit 95 % etwas höher. Zwischen dem ambulanten und stationären Bereich waren mit 94 % und 93 % kaum Unterschiede zu erkennen. Auch die Fachgebiete lagen nah beieinander: 93 % der Befragten im Gebiet Innere Medizin gaben an, vollständig geimpft zu sein. In der Allgemeinmedizin sowie der Frauenheilkunde und Geburtshilfe lag der Impfanteil mit 91 beziehungsweise 89 % etwas niedriger (Tabelle 3, nur online).

Tab. 3: Coronaimpfquote nach Fachgebiet

Fachgebiet (n = 4.857)

Gesamtzahl

Infektionsort

im beruflichen Umfeld

im privaten Umfeld

n

n

%

n

%

Gebiet Innere Medizin

898

835

93 %

63

7 %

Allgemeinmedizin

853

777

91 %

76

9 %

Gebiet Chirurgie

505

472

94 %

33

6 %

Anästhesiologie

389

367

94 %

22

6 %

Psychiatrie und Psychotherapie

293

281

96 %

12

4 %

Frauenheilkunde und Geburtshilfe

284

253

89 %

31

11 %

Kinder- und Jugendmedizin

223

211

95 %

12

5 %

Sonstige Angaben (u. a. Zusatz-Weiterbildung)

214

195

91 %

19

9 %

Neurologie

181

169

93 %

12

7 %

Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

129

121

94 %

8

6 %

Radiologie

129

120

93 %

9

7 %

Arbeitsmedizin

107

104

97 %

3

3 %

Hals-Nasen-Ohrenheilkunde

99

93

94 %

6

6 %

Urologie

99

96

97 %

3

3 %

Haut- und Geschlechtskrankheiten

88

84

96 %

4

4 %

Augenheilkunde

71

65

92 %

6

8 %

Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie

53

48

91 %

5

9 %

Öffentliches Gesundheitswesen

50

47

94 %

3

6 %

Physikalische Medizin und Rehabilitative Medizin

36

30

83 %

6

17 %

Pharmakologie

25

24

96 %

1

4 %

Pathologie

23

20

87 %

3

13 %

Sonstige Fachgebiete (n < 10)

23

22

96 %

1

4 %

Laboratoriumsmedizin

22

21

96 %

1

4 %

Strahlentherapie

15

14

93 %

1

7 %

Neurochirurgie

14

13

93 %

1

7 %

Nuklearmedizin

12

12

100 %

0

0 %

Hygiene- und Umweltmedizin

11

11

100 %

0

0 %

Transfusionsmedizin

11

9

82 %

2

18 %

Ein interessanter Zusammenhang konnte beim zeitlichen Verlauf der Infektionszahlen der Ärzteschaft verglichen mit der Bevölkerung in Hessen beobachtet werden (Grafik). Bis Februar 2021 verliefen beide Kurven parallel mit einem Peak im Dezember 2020. Während die Infektionsfälle der Ärztinnen und Ärzte ab Januar 2021 stetig abnahmen, stieg die Anzahl an Neuinfektionen in Hessen von Februar bis April 2021 jedoch erneut an.

Impfung verhinderte dritte Welle

Die Erklärung für die getrennten Kurvenverläufe gibt der AOK-Pflegereport 2021 [7]. In einer Studie hatten Forschende den Krankenstand des Pflegepersonals in der Pandemie untersucht und kamen zu dem Ergebnis, dass SARS-CoV-2-Infektionen seit März 2021 trotz der dritten Infektionswelle in den Berufsgruppen deutlich zurückgegangen seien. Die Autoren der Studie führten das auf den Impffortschritt zurück. Die hohe Impfquote von 93 % unter der Ärzteschaft in der vorliegenden Studie sowie die parallel sinkenden Infektionszahlen unter den hessischen Ärztinnen und Ärzten lassen vermuten, dass die Impfung trotz steigender Infektionszahlen in Hessen sowie in der deutschen Gesamtbevölkerung ihre Wirkung gezeigt hat.

Ebenso unbekannt wie die Impfquoten in der Ärzteschaft sind in Deutschland aktuelle Daten zur Anzahl an Long-Covid-Fällen. In der Online-Befragung gab etwa jeder Dritte der erkrankten hessischen Ärzteschaft an, unter Long-Covid-Symptomen zu leiden – unter Symptomen, die auch noch vier Wochen nach der SARS-CoV-2-Infektion vorlagen [8]. Weit höher lagen die Betroffenenzahlen hingegen in einer chinesischen Studie zu Long Covid. Hier hatten 76 % der Covid-19-Patientinnen und -Patienten sechs Monate nach Symptombeginn mindestens ein Symptom [9].

Die hessischen Daten konnten für Long-Covid-Symptome zudem zeigen: Der Anteil weiblicher Erkrankter lag mit 36 % deutlich höher als der männlicher Erkrankter mit 28 %. Der höhere weibliche Anteil deckt sich mit Ergebnissen aus internationalen Studien, die belegen, dass mehr Frauen unter Long-Covid leiden als Männer [9, 10]. Hier könnte jedoch auch soziale Erwünschtheit eine Rolle spielen: Männer empfänden ihren Gesundheitszustand in Erhebungen prinzipiell besser als Frauen [11].

Deutlich häufiger als Long-Covid-Symptome traten Krankheitssymptome auf. Von den 800 der infizierten Ärztinnen und Ärzte litten 90 % unter Fieber, Husten, Schnupfen, Halsschmerzen, Kopf- oder etwa Gliederschmerzen. Die meisten Symptome meldeten die 40- bis 49-Jährigen mit 91 % unter den jeweiligen Altersgruppen. Bei 78 % der infizierten Ärztinnen und Ärzte traten die Symptome vor dem Virusnachweis auf, bei 17 % erst nach der Diagnostik. Während der Covid-19-Erkrankung befanden sich 97 % in häuslicher Umgebung. 7 % gaben eine stationäre und 1 % eine intensivmedizinische Versorgung an. Mehrfachnennungen waren möglich. Im Rahmen der intensivmedizinischen Betreuung war bei fünf Betroffenen eine Beatmung von weniger als acht Tagen notwendig, in einem Fall waren es jedoch 65 Tage. Im Durchschnitt waren die an Covid-19-Erkrankten 4,2 Wochen arbeitsunfähig.

Einschränkend muss angemerkt werden, dass die Daten rein deskriptiv ausgewertet wurden und keine statistisch signifikanten Aussagen enthalten. Aufgrund ähnlicher Strukturen der Rückläufer hinsichtlich der Merkmale wie dem Durchschnittsalter im Vergleich zur Grundgesamtheit waren die Daten jedoch repräsentativ. Zukünftig sollten auch auf Bundesebene Impfquoten und Infektionszahlen in der Ärzteschaft oder gar im Gesundheitswesen erhoben werden.

Dr. sc. hum. Dipl.-Soz. Iris Natanzon1, Sabine Goldschmidt2, Nina Walter1, Silke Nahlinger1, Dr. med. Edgar Pinkowski3

1Stabsstelle Qualitätssicherung und Gesundheitssystemanalyse
2Präsidialreferat
3Präsident
alle: Landesärztekammer Hessen

E-Mail: qs@laekh.de

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