Im Juni 2020 trat die neue Weiterbildungsordnung in Kraft. Hauptziel war es, die Weiterbildung für den Wandel in der Medizin mit progressiven, über Fachgebietsgrenzen hinausgehende Arbeitsformen flexibel zu gestalten. Soweit, kann festgestellt werden, funktioniert diese Transformation unter hohem Einsatz von Haupt- und Ehrenamt in der hessischen Kammer gut.

Doch auf welche Schwierigkeiten unter den Arbeitsbedingungen der Coronapandemie die weiterzubildenden Kolleginnen und Kollegen treffen würden, war, wie so vieles, nicht absehbar.

Vollkommen geänderte Dienstpläne, verschobene oder aufgehobene Rotationen, Personalausfälle und die vielen verschobenen und abgesagten planbaren Eingriffe. Hinzu kamen die durch das hohe Arbeitspensum entstandenen familiären Belastungen. Schwangere sahen sich plötzlich mit Berufsverboten konfrontiert – teilweise ohne Prüfung alternativer Tätigkeiten.

Im Kammerausschuss Ärztlicher Nachwuchs haben wir diese Themen diskutiert. Eine häufige Frage war, wie Ausfallzeiten mit den Vorgaben der Weiterbildungsordnung vereinbar sind. Hier besteht ein geringer Spielraum, dennoch wird sich die Weiterbildung und damit der Zeitpunkt der Facharztprüfung oftmals um Monate hinaus verzögern.

Es wird Zeit, den jungen Kolleginnen und Kollegen Gehör zu verschaffen, damit die reduzierte und verzögerte Weiterbildung nicht zu einem in den nächsten Jahren zusätzlichen Facharztmangel führt. Bereits jetzt schieben wir eine Bugwelle von noch nicht erlernten Kompetenzen vor uns her.

Glücklicherweise lässt sich durch das E-Logbuch leichter ein Überblick über den noch zu erfüllenden Plan und die hierfür benötigte Weiterbildungszeit erlangen. Doch als die frisch mit der Approbation ausgerüsteten, hoch motivierten Kolleginnen und Kollegen 2020 ihre Weiterbildung antraten, war vielen nicht klar, wie eine „gute Weiterbildung“ in Planung und Durchführung aussieht. Es wurde erst einmal gearbeitet – mit dem gebotenen Einsatz unter den krisenhaften Umständen in den Kliniken. Dass es mit Beginn des Berufslebens bereits so früh zu Überlastungssyndromen kommen kann, hätte sich so manche/so mancher auch nicht gedacht.

„Wir fordern, eine vernünftige Weiterbildung auch unter Pandemiebedingungen zu ermöglichen.“

Hochengagierte Weiterbildungsbefugte stießen unter den Bedingungen einer personellen Mangelverwaltung an ihre Grenzen. Vollkommen unverständlich erscheint in diesem Zusammenhang das derzeitige Verhalten von Arbeitgebern, in den Kliniken Weiterzubildende nach der Facharztprüfung nicht weiter zu beschäftigen oder Stellen für Weiterzubildende nicht neu zu besetzen.

Als Grund wird, wie so oft, die finanzielle Lage der Klinik angeführt. Doch diese kurzsichtige Handlungsweise ist insbesondere nicht nachvollziehbar, da die anstehenden Kompensationszahlungen in den Kliniken einen Ausgleich auf das Niveau von 2019 (bis max. −5 %) herstellen sollen.

Ich sehe den ärztlichen Nachwuchs als mehrfach benachteiligt, was hinsichtlich der Leistungen und der Leistungsbereitschaft in den Krisenzeiten der Pandemie als Ausdruck eines Mangels an Wertschätzung gesehen werden kann.

Wenn dann junge Kolleginnen und Kollegen in Marburg einen öffentlichen Brandbrief verfassen, um auf die desolate Personalsituation aufmerksam zu machen, zeigt sich die Eskalation einer bereits länger währenden Krise. Das Gefühl, Patientinnen und Patienten aufgrund anhaltender Überlastung nicht gerecht werden zu können und trotz wiederkehrender Beschwerden keine Verbesserungen wahrzunehmen, ist nachhaltig enttäuschend und frustran.

Im Kammerausschuss Ärztlicher Nachwuchs haben wir einen Appell verfasst, welchen ich auf dem Deutschen Ärztetag im November vortragen konnte. Darin fordern wir, eine vernünftige Weiterbildung auch unter Pandemiebedingungen zu ermöglichen.

Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen – unabhängig ob in Weiterbildung oder nicht – auffordern, beispielhafte Probleme in ihrem Arbeitsumfeld zu benennen und mitzuteilen. Nur so kann die öffentliche Wahrnehmung der auf die Coronapandemie folgenden Versorgungskrise geschärft werden.

Dr. med. Lars Bodammer, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen