Erfahrungen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) nach einem Jahr

Am 1. April 2019 ist das „Zweite Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“ in Kraft getreten. Darin sind viele Maßnahmen enthalten, die die Rahmenbedingungen für die Organspende, insbesondere für die rund 1.200 Entnahmekrankenhäuser, erheblich verbessern. Folgende Neuerungen sind besonders hervorzuheben:

  1. An erster Stelle steht die Stärkung der Position der Transplantationsbeauftragten (TxB) und ihrer Funktionen. Sie müssen nun verbindlich für ihre Tätigkeit freigestellt werden – das heißt Freistellung um mindestens 0,1 Stelle pro zehn Intensivbetten in der Klinik; in Transplantationszentren muss mindestens eine ganze Stelle dafür vorgehalten werden. Hat ein Entnahmekrankenhaus mehrere Intensivstationen, muss für jede Station mindestens ein TxB bestellt werden. Die Freistellung wird anders als in der Vergangenheit vollumfänglich mit 13.000 Euro pro 0,1 Stellenanteil einer Vollzeitkraft (VK) an die Krankenhäuser rückerstattet. Über die Freistellung der TxB und deren Tätigkeit muss jährlich bis zum 15. März Bericht erstattet werden. Hierzu stellt die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) eine Online-Plattform zur Verfügung und schreibt alle Krankenhäuser mit der Aufforderung um Übermittlung der notwendigen Daten rechtzeitig an.
  2. Die Kliniken erhalten eine bessere, dem Aufwand entsprechende Finanzierung für die Organspende. Hierzu wurden differenzierte Pauschalen berechnet, die durch eine Komponente ergänzt werden, die ein Ausgleich für die besondere Inanspruchnahme der Infrastruktur des Krankenhauses ist. Insgesamt soll das Engagement für die Organspende nicht zu finanziellen Nachteilen führen, wie es in der Vergangenheit der Fall war.
  3. Ein flächendeckendes Berichtssystem bei der Spendererkennung und -meldung ist nun ebenfalls gesetzlich verankert. Die Kliniken sind dazu verpflichtet, eine einheitliche Qualitätssicherung bei der Erkennung möglicher Spender durchzuführen. Sie müssen alle Todesfälle mit primärer und sekundärer Hirnschädigung erfassen und anonymisiert an die DSO sowie die Landesministerien übermitteln. Dazu erhalten die TxB Einsicht in die Patientenakten zur Auswertung des Spenderpotenzials. Die DSO stellt zur vereinfachten Auswertung online ein Programm (TransplantCheck 4) zur Verfügung, das den gesetzlich geforderten Datensatz unkompliziert ermittelt. Die Übermittlung der Daten an die oben genannten Stellen hat jährlich bis zum 30. Juni zu erfolgen.
  4. Die Krankenhäuser erhalten bei Bedarf Unterstützung bei der Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (IHA). Hier ist eine flächendeckende Versorgung mit erfahrenen Konsiliar-Neurologen und -Neurochirurgen vorgesehen, die zum Beispiel Entnahmekliniken ohne Neurochirurgie oder Neurologie im Fall einer IHA-Diagnostik kurzfristig unterstützen. Die Beauftragung einer geeigneten Einrichtung soll bis zum Ende des Jahres 2020 erfolgen.
  5. Des Weiteren ist die Angehörigenbetreuung erstmals im Gesetz verankert worden. Damit wurde sie nun auch formal in die Hände der DSO gelegt, die diese schon immer als Teil ihrer Aufgaben angesehen hat. Hierdurch wurde ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung für die Organspende in der Gesellschaft gesetzt.

Das Gesetz vom April 2019 agiert somit aus Sicht der DSO an den richtigen Stellen, um die Voraussetzungen für die Organspende in den Kliniken zu verbessern. Dabei liegt der Fokus auf den TxB. Die neuen Regelungen geben ihnen ein offizielles Zeitkontingent, um sich flexibel um ihre verantwortungsvollen Aufgaben zu kümmern, z. B. im konkreten Fall einer Organspende oder für fachspezifische Fortbildungsmaßnahmen. Daneben müssen die Kliniken verbindliche Verfahrensanweisungen für den Organspendeprozess entwickeln und umsetzen. Gerne stehen die Koordinatoren der DSO dabei beratend zur Seite und unterstützen auch bei der Datenauswertung mittels TransplantCheck.

Veränderungen im ersten Jahr

Schon wenige Monate nach Inkrafttreten des novellierten Transplantationsgesetzes wurden in vielen Kliniken der Region Mitte Umstrukturierungsmaßnahmen vorgenommen. Dabei stellte das Gesetz die Krankenhausverwaltungen vor zunächst nicht geringe Herausforderungen: Die Freistellung der TxB musste in den Klinikalltag implementiert und in Häusern der Maximalversorgung oder Transplantationszentren auf mehrere Intensivstationen und Fachbereiche aufgeteilt werden.

So wurden beispielsweise in einem Krankenhaus der Maximalversorgung der Region Mitte die Stellenanteile zunächst auf die verschiedenen Intensivstationen je nach Anzahl der dort im Schnitt gemeldeten möglichen Organspender gesplittet. Diese den Intensivstationen zugeteilten Stellenanteile wurden an jeweils ein bis zwei auf den Stationen fest eingeteilte Ärzte vergeben. Dem Haupt-TxB wurden zusätzliche Stellenanteile zur Koordinierung der oben beschriebenen Aufgaben zugesprochen. Auf diese Weise ist eine der tatsächlichen Arbeit entsprechende Aufteilung der Stellenanteile erfolgt und die jeweiligen Anteile wurden dem Stellenschlüssel der betreffenden Fachabteilungen zugefügt.

Inwieweit in der Region Mitte zunehmend pflegerische TxB benannt und ausgebildet werden (die pauschale Vergütung für ärztliche und pflegerische TxB ist identisch), bleibt abzuwarten. Pflegerische TxB unterstützen die ärztlichen Kollegen z. B. in der retrospektiven Bearbeitung der mittels TransplantCheck identifizierten Fälle und sind Ansprechpartner für ihre Kollegen, die häufig im Rahmen der Pflegetätigkeit als erstes eine mögliche Hirnstammareflexie bemerken. Gerade im Kontakt mit Angehörigen eines möglichen Organspenders hat es sich als hilfreich erwiesen, wenn pflegerische TxB, die sich im Organspendeprozess gut auskennen, direkt am Patientenbett für die Angehörigen zur Verfügung stehen und Fragen beantworten können.

Neue Wege zur Vernetzung

Unter diesem Motto kamen Ende Februar etwa 50 TxB der Region Mitte in Frankfurt am Main auf Einladung der Landesärztekammer Hessen zusammen, um sich über ihre Erfahrungen und auch Probleme im klinischen Alltag auszutauschen sowie spannenden Vorträgen zu lauschen. Die konstruktiven Diskussionen mündeten in dem Fazit, dass eine stärkere Vernetzung der TxB untereinander, insbesondere niederschwellig und auf digitaler Ebene, von allen Anwesenden gewünscht ist. Sabine Moos, TxB des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, Standort Gießen, bekräftigte in der Abschlussrunde: „Ein Netzwerk der Transplantationsbeauftragten ist meiner Meinung nach wichtig, damit die Thematik Organspende in allen Krankenhäusern einen größeren Stellenwert im klinischen Alltag erfährt. Die Vernetzung ist in diesem Sinne auf zwei Ebenen relevant – innerhalb der eigenen Einrichtung und zwischen den TxB auf regionaler Ebene.“

Auswirkungen auf die Organspende

2019 hat sich die Zahl der Organspender mit bundesweit 932 in etwa auf dem Niveau von 2018 gehalten. Es war nicht zu erwarten, dass sich die im letzten April angestoßenen strukturellen Maßnahmen innerhalb weniger Monate umsetzen lassen und einen sofortigen Anstieg der Organspenden bewirken. Positiv ragte jedoch die Region Mitte hervor: Im Vergleich zu 2018 verzeichnete sie eine Zunahme von 8,5 % auf 127 postmortale Organspender im vergangenen Jahr.

Gespannt blickte man daher auf die ersten Halbjahreszahlen 2020, inwieweit sich nun die erhoffte Wende bei den Zahlen zeigen würde. Erfreulicherweise nahmen trotz Corona-Krise die bundesweiten Spenderzahlen um 7,3 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu. Dass es zu keinem Einbruch oder starkem Rückgang wie insbesondere in Italien oder Spanien kam, lag an den gut vorbereiteten Kliniken, deren Intensivkapazitäten nicht ans völlige Limit kamen, und am außergewöhnlichen Engagement des Personals, trotz der erhöhten Belastung während dieser Zeit an die Organspende zu denken.

In der Region Mitte stiegen die Halbjahreszahlen gegenüber den anderen sechs DSO-Regionen sogar am stärksten im Vergleich zu 2019 an: Es ist ein Plus von 26,7 % bei den postmortalen Organspendern zu verzeichnen. Spitzenreiter ist dabei das Saarland mit einer Zunahme um 83,3 % im ersten Halbjahr. Es folgen Rheinland-Pfalz und Hessen mit einem Anstieg um 36 % bzw. um 6,9 %.

Ausblick

Die verbesserte Unterstützung der Krankenhäuser einerseits und die Qualitätssicherung andererseits, mit einem flächendeckenden Berichtssystem und damit der Schaffung von Transparenz, wurden im neuen Gesetz als wichtige Elemente implementiert, um die Situation der Organspende in den kommenden Jahren zu verbessern. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch zu früh, um eine abschließende Aussage zu den Auswirkungen der Gesetzesänderung zu treffen. Die positive Entwicklung der Organspendezahlen der Region Mitte und die erfolgreiche Bewältigung der Covid-19-Infektionen lassen aber zuversichtlich auf die kommenden Monate blicken.

Dr. med. Anja Brückel, Ärztliche Koordinatorin der DSO-Region Mitte

Dr. med. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand Deutsche Stiftung Organtransplantation Hauptverwaltung Frankfurt am Main

PD Dr. med. Ana Paula Barreiros, Geschäftsführende Ärztin der DSO-Region Mitte

Kontakt: Deutsche Stiftung Organtransplantation, Region Mitte, Haifa-Allee 2, 55128 Mainz, E-Mail: mitte@dso.de