Gedenken an Prof. Dr. Dr. Horst Kächele *18.02.1944 †28.06.2020

Prof. Dr. med. Dr. phil. Horst Kächele aus Ulm ist am 28. Juni 2020 nach langer schwerer Krankheit mit 76 Jahren verstorben. Er war nicht nur für Ulm und Baden-Württemberg ein bedeutender Arzt, Psychoanalytiker und Forscher, sondern deutschlandweit und international führend. Er hat der Psychoanalyse neue Impulse gegeben und sie auch im evidenz-basierten medizinischen Bereich vertieft. Mit ihm verlieren wir einen der international angesehensten deutschen Psychotherapie-Forscher, Initiator, Förderer, Lehrer, der vor allem fachübergreifend über alle Schulen für Ärzte und Psychologen für eine wirksame Psychotherapie und Psychosomatik kämpfte. Vor allem versuchte er, Brücken zu schaffen zu Parallelwissenschaften.

Kächele war ein von Neugier und Forschungseifer begeisterter Mensch, dem es in außergewöhnlichem Maße gelang, auch andere für die Ideen, die ihn beschäftigten, zu begeistern und Kooperationen auf den Weg zu bringen, anzustoßen und zu initiieren. Zu nennen sind insbesondere psychoanalytische Verlaufs- und Ergebnisforschung, somato-psychische Themen wie Abwehr und Bewältigung bei Knochenmarkstransplantation, Essstörungen sowie klinische Bindungsforschung und Neurobiologie. Hinzu kommen noch viele Themen, die er nachhaltig gefördert hat, zum Beispiel Musiktherapie, Ethik in der Medizin, Klinische Ökonomik und Forensische Psychotherapie.

Uns Studierende imponierte er damals durch immer wieder originelle und neue Angebote: Wir hatten bei ihm nicht nur Traumseminare, sondern auch Studentenbalintgruppen, Supervisionen, usw. In dieser Weise stimulierte er in uns früh das Interesse für die psychosozialen Seiten der Medizin und die Psychoanalyse im Speziellen, auch wenn uns sein Tempo manchmal zu überfordern drohte.

Er war von 1990 bis 2009 Inhaber des Lehrstuhls für Psychotherapie in Ulm und ab 1997 auch Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Ulm. In den 1990er-Jahren war er Präsident der Society for Psychotherapy Research und förderte den Aufbau der Therapieforschung in Lateinamerika.

Horst Kächele betonte es immer wieder – auch im Widerspruch mit vielen Analytikern – wie wichtig es für die psychoanalytische Methode in der Wissenschaftswelt sei, sich nicht nur auf heuristische Forschung, sondern auch auf empirische Forschung zu beziehen.

Er war einer der wenigen DFG-Gutachter aus unserem Fachgebiet und hat das Fach auch im Rahmen dieser Förderungen deutlich vorangebracht. Weiterhin leitete er den DFG-Sonderforschungsbereich 129 „Psychotherapeutische Prozesse“. Als Leiter der Forschungsstelle Psychotherapie in Stuttgart gelang es ihm, eine der weltweit größten Studien zur stationären Behandlung von Essstörungen und viele weitere bedeutende Projekte zu initiieren. In seiner Begabung, eine Diskussion auch durch vermeintliches „Querdenken“ kreativ zu bereichern, war er unübertroffen, Widerspruch war ihm ein tiefes fruchtbares Bedürfnis.

Als er im Jahr 1990 in der Nachfolge von Helmut Thomä den Lehrstuhl Psychotherapie in Ulm übernahm, hatte er einhundert Arbeiten veröffentlicht. Inzwischen gibt es das von Helmut Thomä und ihm herausgegebenen Lehrbuch in ca. 20 Weltsprachen, in vielen Sprachen längst erweitert um einen dritten Band und mehrfach aktualisiert, und seine Publikationsliste umfasst knapp 900 Arbeiten.

Einzigartig waren die jährlichen Tagungen der Ulmer Werkstatt, zu der die angesehensten Fachvertreter aus aller Welt kamen. Die Liste seiner Koautoren umfasst knapp 400 Namen; mit vielen hat er über Jahrzehnte eng kooperiert. Von seinen zahlreichen Vortrags- und Kongressreisen brachte er jeweils neue Studierende, Kliniker und Wissenschaftler/-innen mit, von denen einige für Wochen, andere für Jahre oder sogar auf Dauer in Deutschland blieben, andere nach ihrem Aufenthalt das hier Gelernte in ihre Heimatländer zurücktrugen und dort weiterentwickelten und verbreiteten. Schon einen Tag, nachdem er emeritiert war, setzte er seine Tätigkeit ab 1. Oktober 2009 an der neu gegründeten Internationalen Psychoanalytischen Universität in Berlin mit großem Erfolg fort.

Ein persönliche Note war seit Ende der 1970er-Jahre das Hintertuxer Seminar im Winter, eine wunderbare Idee, die Welt der Berge, des „vital pleasures“, und intensives Diskutieren mit einer Gruppe von internationalen Analytiker und Therapeuten sowie Studenten über schwierige, interessante Patienten, über neue Techniken, und kontroverse Theorien zu verbinden.

Horst Kächele hinterlässt nicht nur ein großartiges Lebenswerk, sondern viele dankbare und trauernde Menschen, einschließlich seiner Frau und drei Töchter, die seinen Weg begleiten durften und ihn jetzt vermissen. Seine Spuren werden noch lange in uns weiterleben.

Dr. med. Wolfgang Merkle, Chefarzt Psychosomatische Klinik, Hospital zum heiligen Geist Frankfurt