Immer mehr Bundesländer führen eine Landarztquote ein. Im Tausch gegen einen Studienplatz im Fach Humanmedizin verpflichten sich Studierende für ein Studium von mindestens sechs Jahren und eine Weiterbildung von fünf Jahren weitere zehn Jahre als Allgemeinarzt oder Allgemeinärztin in einem „unterversorgten Gebiet“ in Hessen tätig zu werden. Die Dauer der Festlegung von 21 Jahren entspricht bei dieser Vertragsgestaltung in etwa dem Alter der Abiturienten bei dieser Entscheidung.

Was ist falsch an der Idee?

Zunächst der Inhalt. Die alleinige Fokussierung auf Allgemeinärzte ist eine monodimensionale Ausrichtung. Hausärztliche Internisten und Kinder- und Jugendärzte und andere Grundversorger fehlen. Schon jetzt werden Kassenarztsitze verschiedener Provenienz nicht besetzt. In naher Zukunft werden weitere Fachgebiete folgen.

Die räumliche Ausgestaltung unterliegt einem stetigen demografischen Wandel. In den kommenden zehn bis 15 Jahren wird der Ärztemangel sehr viele weitere Gebiete in Hessen erfassen. Das Durchschnittsalter der Kolleginnen und Kollegen in den „unterversorgten“ Gebieten steigt. Die ländlichen Gebiete verwaisen. Behörden, Banken, der Einzelhandel wandern ab. Kränkere Patienten, weite Wege und Hausbesuche führen zu einer Überlastung des Systems. Wer will sich in jungen Jahren festlegen, dort zu arbeiten?

Ein dritter Punkt: Die demografische Entwicklung und der Morbiditätsverlauf des Patientenklientels. Dauer und Differenziertheit von Erkrankungen sind nicht mehr alleine durch den Allgemeinarzt zu bewältigen. Der Bedarf an ärztlicher Leistung geht viel weiter und tiefer als in dem vorliegenden Gesetzentwurf berücksichtigt. Telemedizin und Unterstützung von nicht-ärztlichen Berufen sind da schon eingerechnet.

Die ärztliche Tätigkeit auf dem Land und häufig auch in den Städten hat an Attraktivität verloren. Jede Gewerkschaft würde sich über die inhaltliche und zeitliche Belastung von niedergelassenen Ärtinnen und Ärzten beschweren. Die Arbeitsbedingungen in der Praxis (und in den Kliniken) mit Nacht- und Wochenenddiensten strotzen vor Bürokratie, Regulierungen und möglichen Regressen. Dies ist wenig attraktiv im Vergleich zu inzwischen gut dotierten Arbeitsmöglichkeiten von Ärztinnen und Ärzten ohne Patientenkontakt. Hören Ärzte heute früher auf?

Zu guter Letzt: Die zu geringe Anzahl der Studierenden und Absolventen in der Humanmedizin ist ein Problem der Politik. Natürlich erschweren Faktoren wie die Differenzierung der Medizin, eine adäquate Work-Life-Balance, häufigere Teilzeitarbeit im Angestelltenverhältnis die Nutzung der Ressource Arzt, das war aber absehbar. Für Nachwuchs wurde nicht ausreichend gesorgt, der Flaschenhals wird uns mindestens 15 Jahre begleiten. Diesen Flaschenhals mit Verträgen über mehr als 20 Jahre und existenzvernichtenden Strafen auszunutzen, ist schlicht unanständig.

Und doch müssen Ideen zusammengetragen werden, die die medizinische Versorgung in den ländlichen Bereichen nicht zusammenbrechen lassen. Die Förderung der Niederlassung müsste sich auf alle Grundversorger erstrecken. Immer mehr Internisten lassen sich im hausärztlichen Sektor nieder, Kinder- und Jugendärzte werden händeringend gesucht. Die Praxisführung muss vereinfacht werden. Für ältere Kolleginnen und Kollegen muss es attraktiv sein, die Rente zu verschieben.

Es muss auch zu einer besseren Nutzung der medizinischen Ressourcen kommen. Kooperationen, Medizinische Versorgungszentren und eine intelligente intersektorale Verzahnung auch unter verstärkter Nutzung der belegärztlichen Strukturen wären hilfreich. Eine Anpassung der gesetzlichen Regelungen und der Vergütungsstrukturen müssten rasch umgesetzt werden. Räumliche Schwerpunktbildungen erfordern eine gute Erreichbarkeit, die öffentlich sichergestellt werden muss. Für wirklich kranke Menschen müssen Transportdienste eingerichtet werden.

Die Ärzteschaft lässt die Menschen auf dem Land nicht im Regen stehen. Sie sucht nach Lösungen für das vertrackte und von der Politik durch mangelnde Investitionen in Humankapital verursachte Problem der ärztlichen Versorgung auf dem Land. Festlegungen von Abiturienten für die nächsten 25 Jahre und Strafen von 250.000 Euro für die Nichterfüllung sind politischer Aktionismus vor der nächsten Wahl. Die aktuellen Probleme werden damit nicht gelöst. Im Übrigen fehlen dann die Ärztinnen und Ärzte woanders.

Dr. med. Wolf Andreas Fach, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen, Berufsverband Deutscher Internisten e. V., Vorsitzender Landesverband Hessen

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