Beamter ermittelte gegen Krankenhäuser, Ärzte, Apotheker

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Ein Oberstaatsanwalt, der wegen Korruption im Gesundheitswesen ermittelt, soll selbst korrupt sein? So was galt im deutschen Rechtssystem bislang als undenkbar. Noch steht Alexander B. lediglich unter Verdacht. Noch ist nicht erwiesen, ob der Mann, der fast zwei Jahrzehnte lang gegen Krankenhäuser, Ärzte und Apotheker wegen Unregelmäßigkeiten im Abrechnungswesen ermittelte, zu Recht wegen des Verdachts der Bestechlichkeit in Untersuchungshaft sitzt.

Alexander B. ist in der gesundheitspolitischen Szene bekannt wie ein bunter Hund. In vielen Veranstaltungen bei Kassenärztlichen Vereinigungen und anderen Akteuren des Gesundheitswesens war er als resoluter und unerbittlicher Mahner aufgetreten. Nun soll er selbst die Hand aufgehalten haben.

Öffentlich bekannt wurde der Vorwurf Ende Juli. Da teilte die Staatsanwaltschaft Frankfurt mit, dass ein Oberstaatsanwalt wegen des Verdachts der Bestechlichkeit in Untersuchungshaft sitze. Der 53-Jährige soll einem Unternehmen zu Gutachtenaufträgen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren verholfen haben, so die Staatsanwaltschaft. Als Gegenleistung habe er von August 2015 bis Juli 2020 mehr als 240.000 Euro erhalten.

Die Aufträge des beschuldigten Beamten waren für das Unternehmen sehr lukrativ, heißt es. In den vergangenen zehn Jahren soll es mehr als 90 Prozent seiner Einnahmen in Höhe von über 12,5 Millionen Euro aus Gutachtenvergütungen von Justizbehörden erzielt haben, so die Staatsanwaltschaft. Sie wirft Alexander B. und dem 54-jährigen Leiter der Firma gewerbsmäßige Bestechlichkeit beziehungsweise Bestechung vor.

Laut Staatsanwaltschaft soll der Jurist gemeinsam mit seinem Schulfreund das Unternehmen im Jahr 2005 gegründet haben. Dessen Geschäftszweck bestand überwiegend in der Erstattung von Gutachten für Justizbehörden, so der Vorwurf. Die Ermittlungen gingen den Angaben zufolge auf eine Strafanzeige aus dem persönlichen Umfeld des Beamten zurück.

Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: Der Landrat des Main-Kinzig-Kreises, Thomas Stolz (SPD), fragte, inwieweit die möglichen Verstrickungen die Arbeit des Oberstaatsanwalts beeinflusst hatten. Alexander B. hatte ein Ermittlungsverfahren gegen die Main-Kinzig-Kliniken geleitet, das gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt worden war. Kein Einzelfall.

Der Medizinrechtler Alexander Dorn sagte in der „Frankfurter Rundschau“, viele Verfahren seien gegen Zahlung von Geldauflagen eingestellt worden, nachdem die Verfahrenskosten durch überteuerte Gutachten in die Höhe getrieben worden waren. Dorn hat in den vergangenen 15 Jahren zahlreiche Ärzte vertreten, die die Generalstaatsanwaltschaft angeklagt hatte.

Anfang August beschäftigte sich der Rechtsausschuss des Landtags mit dem Fall. Wie Ministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) in der Sitzung angab, ist das Ausmaß des Skandals noch nicht abzusehen. Derzeit liefen lediglich Ermittlungen wegen Bestechung und Bestechlichkeit. Von den fünf Beschuldigten säßen einzig der Oberstaatsanwalt und dessen Schulfreund in Untersuchungshaft. Bisher gebe es „keine Anhaltspunkte“ dafür, dass abgeschlossene Verfahren zu Ärzteabrechnungen neu aufgerollt werden müssten.

Das Schmiergeld der Gutachtenfirma wurde nach Angaben der Ermittler auf ein Bankkonto überwiesen, auf das Alexander B. mit einer Kontokarte unter einem falschen Namen zugegriffen hat. Seit August 2015 habe er im Durchschnitt mehr als 4.000 Euro monatlich abgehoben. Zudem soll er Geld von einer weiteren Firma erhalten haben, die von der Generalstaatsanwaltschaft mit der Auswertung von Daten beauftragt worden sei. Hier habe der Oberstaatsanwalt „im nicht verjährten Zeitraum“ 66.000 Euro eingestrichen. Die Korruption soll bereits vor 15 Jahren begonnen haben. Wegen der Verjährung können die Beteiligten aber nur für Delikte aus den vergangenen fünf Jahren belangt werden.

Noch ist offen, wie hoch der Schaden für das Land ausfiel, das für viele der Gutachten zahlen musste. Wie Kühne-Hörmann im Rechtsausschuss informierte, hatte es im Bereich des Oberstaatsanwalts mehr als 5.000 Ermittlungsverfahren zu Vermögensdelikten und Korruption gegeben, „in denen regelmäßig Gutachtenaufträge erteilt worden sein dürften“.

Jutta Rippegather