Neues Lehrkonzept fördert die Zusammenarbeit von Medizin und Psychologie

Viele medizinische Fächer klagen über Nachwuchsmangel. Das liegt nicht nur an der unzureichenden Anzahl an Absolventinnen und Absolventen, sondern auch daran, dass einige Fächer von Studierenden nicht ausreichend wahrgenommen werden. So reicht bereits heute die Zahl an Rheumatologen nicht aus, um den Bedarf der Bevölkerung adäquat zu decken, wie Dr. med. Rebecca Hasseli im Gespräch erläutert. Sie ist Ärztin in der Abteilung für Rheumatologie und Klinische Immunologie der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim. Mit einem neuen Lehrkonzept an der Justus-Liebig-Universität Gießen, das im Herbst 2019 erstmalig angeboten wurde und bundesweit sich durch eine bisher einmalige Zusammenarbeit von Medizin und Psychologie auszeichnet, möchte sie unter anderem das Interesse der Medizinstudierenden an der Rheumatologie wecken und dem Fachkräftemangel in der Patientenversorgung entgegenwirken.

Sie haben ein neues Lehrkonzept initiiert, bei dem Studierende der Medizin und Psychologie gemeinsam von- und miteinander lernen. Wie sieht das konkret aus?

Dr. med. Rebecca Hasseli: Über einen Zeitraum von einer Woche erhalten 14 Studierende der Psychologie und Medizin Einblick in Bereiche der Physio- und Schmerztherapie, Neurologie und Logopädie. Die Woche startet damit, dass die Gruppen sich zunächst selbst einen Einblick in ihr Fach geben. Die Medizinstudierenden erklären den angehenden Psychologinnen und Psychologen medizinische Aspekte verschiedener Erkrankungen. Das sind in erster Linie rheumatische Erkrankungen, da wir hier diese Patienten vor Ort haben. Die Psychologiestudierenden erläutern wiederum das Handwerkszeug der Psychotherapie und der Psychoedukation. Das sind Themen, mit denen wir im Medizinstudium nicht groß in Kontakt kommen. Anschließend werden Teams aus jeweils zwei bis vier Personen aus beiden Fächern gebildet, die gemeinsam Themen bearbeiten und darüber referieren. Einige haben sich beispielsweise ein Rollenspiel ausgedacht, um sowohl die Patienten-, Arzt- als auch Psychologensicht einzubringen. Andere dachten sich spezielle Patientenfälle aus, um zu zeigen, wo greift der Mediziner ein und wann kommt der Psychologe ins Spiel. Das war sehr beeindruckend, welche Ideen da aufkamen. Da diese Übung sehr gut ankam, wollen wir beim nächsten Mal die Referatszeiten kürzer halten, um mehr in diese Gruppenarbeit gehen zu können. Am dritten Tag beginnt dann der praktische Anteil der Woche. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernen die Physiotherapie und die verschiedenen Therapiemöglichkeiten in der physikalischen Abteilung auch anhand von Selbstversuchen kennen. Nach einer kleinen Pause geht es in die Logopädie mit Theorie- und Praxisanteil. Am Donnerstag ist die Allgemeinmedizin, Neurologie mit Schmerztherapie dran. Am Nachmittag wird den Studierenden wieder in gemischten Teams jeweils ein Patient zugewiesen, um gemeinsam eine Anamnese zu erheben, ihn zu untersuchen und herauszufinden, was bei dem Patienten vorliegt. Am letzten Tag präsentieren sie dann den Patienten aus medizinischer und psychologischer Perspektive.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Hasseli: Ich arbeite hier in der Abteilung für Rheumatologie mit chronisch kranken Patienten. Manche Erkrankungen haben verheerende Folgen für die Patienten, wie z.B. bei der systemischen Sklerose. Die psychischen Belastungen muss man ebenfalls beachten und die können nicht einfach medikamentös mit unserer Therapie abgedeckt werden. Die psychische Gesundheit ist sehr wichtig. Denn emotionale Belastung führt meist zu einem Schub der Erkrankung. Wenn die Psyche also mitbetreut wird und der Patient in dieser Hinsicht geerdet ist, hat man höhere Chancen den Patienten langfristig in Remission zu halten – mit Medikation und Psychotherapie. Da wir hier interdisziplinär arbeiten und Psychotherapeuten haben, welche die Patienten mitbehandeln, ist die Idee entstanden, dass wir eine solche Zusammenarbeit gerne bereits in die Ausbildung integrieren würden. Es ist wichtig, dass die jungen Kolleginnen und Kollegen auf dem Weg ihrer Ausbildung sowohl in der Psychologie als auch in der Medizin früh in Kontakt zueinander treten, um die Sprache voneinander zu lernen und Vorurteile abzubauen. Im Moment vermittelt der Patient zwischen Psychotherapeuten und Arzt und fungiert als „Nachrichtenüberbringer“. Hier können jedoch Missverständnisse entstehen, da nicht alle Informationen übergeben werden können. Mit unserem Konzept wollen wir dieser Schnittstellenproblematik frühzeitig vorbeugen und die Teamarbeit fördern, die dem Patienten wiederum zugutekommt. So ist die Idee entstanden.

Wie lange hat es bis zur Umsetzung gedauert?

Hasseli: Die Idee dazu kam 2017. Ende 2017 habe ich damit begonnen, das Konzept aufzustellen und verschiedene Leute zu kontaktieren. Zunächst waren das vor allem Kolleginnen und Kollegen aus der Kerckhoff-Klinik. Da die Referenten finanziell nicht honoriert werden, war es nicht so leicht, welche zu gewinnen. Da war ich am Anfang zu optimistisch. Ich habe dann Kontakt zum Fachbereich der klinischen Psychologie aufgenommen und direkt mit der Dekanin Prof. Dr. Christiane Herrmann gesprochen und sie von dem Konzept überzeugen können. Weitere Unterstützung aus dem Fachbereich der klinischen Psychologie erhielt ich außerdem von Silas Pfeiffer und Dr. Judith Kappesser. Nach und nach hat sich dann das Referententeam vergrößert. Für den Bereich Physiotherapie konnte ich Dr. Katrin Richter-Bastian vom Universitätsklinikum Marburg und Timo Sattler aus der Kerckhoff-Klinik gewinnen. Die Logopädie wird durch Ulrike Hoffmann vertreten, die in Friedberg-Ossenheim tätig ist. Über Schmerztherapie und Neurologie referiert PD Dr. Marlene Tschernatsch vom Gesundheitszentrum Wetterau am Hochwaldkrankenhaus in Bad Nauheim. Für dieses Semester konnte ich zudem Dr. med. Ulrike Koock für den Bereich Allgemeinmedizin gewinnen. Im Oktober 2019 konnte unser Lehrkonzept erstmalig umgesetzt werden.

In welchem Rahmen ist dieses Angebot für die Studierenden im Lehrplan organisiert und wie wurde es angenommen?

Hasseli: Für die Medizinstudierende ist es ein Wahlpflichtfach, das sie sich auf das Examenszeugnis anrechnen lassen können. In der Psychologie ist es ein Referenzmodul, von denen sie mehrere für den Masterabschluss belegen müssen.

Bei der ersten Durchführung im Herbst 2019 waren die Plätze für die Psychologie-Studierenden innerhalb weniger Stunden ausgebucht und es standen 54 Personen auf der Warteliste. Bei den Medizinern war der Andrang nicht ganz so groß, aber auch hier wurden alle Plätze besetzt. Wir haben die Teilnehmerzahl bewusst gering gehalten, um intensiv arbeiten zu können.

Interessant zu sehen war, welche Dynamik sich unter den Studierenden entwickelte. Am ersten Tag saßen die Mediziner auf der einen und die Psychologen auf der anderen Seite des Raumes. Am letzten Tag dann saßen sie kreuz und quer und haben Kontaktdaten untereinander ausgetauscht. Die Veranstaltung wurde von allem hervorragend evaluiert. Das Interesse der Studenten war wirklich schön zu sehen, denn unsere Veranstaltung geht über die Stundenzahl hinaus, die eigentlich notwendig wäre für ein Wahlpflichtfach. Aber das hat keinen gestört, im Gegenteil.

Wie geht es mit Ihrem Konzept jetzt weiter?

Hasseli: Im März findet die Veranstaltung das nächste Mal statt. Wir versuchen es in jedem Semester anzubieten und sind fleißig dabei Werbung dafür zu machen. Ziel ist dieses Angebot langfristig zu etablieren, eventuell sogar als fester Bestandteil von der Ausbildung. Toll wäre es außerdem, wenn das Konzept Schule machen würde und wir als Ideengeber fungieren. Ich würde mir wünschen, einen Anreiz für andere Fakultäten zu geben, auch solch ein Konzept umzusetzen. Gerne können sich auch Referenten melden, die mitwirken möchten. Zusätzlich würden wir uns wünschen auch die Ausbildungsberufe in das Konzept zu inkludieren, so dass Pflege- und Physiotherapieschüler ebenfalls an dem interprofessionellen Konzept teilnehmen können.

Interview: Maren Grikscheit