Medizin für den Menschen: Gesundheit vor Gewinn

Unter dem Hashtag #MedizinfürMenschen fordert das Bündnis Junge Ärzte eine zukunftsfähige medizinische Versorgung in Deutschland und hat sich mit Unterstützung weiterer junger Verbände in einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel und Bundesgesundheitsminister Spahn gewandt.

Der Offene Brief wird nachfolgend im Wortlaut abgedruckt. Ein Interview dazu schließt an.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel, sehr geehrter Herr Bundesminister Spahn, sehr geehrte Landesministerinnen und -minister sowie Senatorinnen,

wir, das Bündnis Junge Ärzte, sind in tiefer Sorge um das deutsche Gesundheitssystem. In der Corona-Krise sehen wir mehr denn je, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt, wenn die medizinische Versorgung in Deutschland im Sinne aller zukunftsfähig bleiben soll.

Momentan können wir beobachten, wozu unsere Medizin fähig ist: Wir haben Notfallkapazitäten geschaffen, viele zusätzliche Beatmungsplätze eingerichtet und planbare Untersuchungen und Eingriffe, ambulant wie stationär, verschoben. Auf den Intensivstationen kämpfen wir jungen Ärztinnen und Ärzte für das Wohl der Menschen – Seite an Seite mit erfahrenen Ärzten und Pflegenden. Alle helfen allen – warum? Weil es um uns alle geht. Dabei wird vor allem eines deutlich: Eine Medizin, die sich am Wohle des Menschen orientiert, wird besonderen Herausforderungen weit besser gerecht als die bisherige Medizin, die immer stärker von Kommerzialisierung und bürokratischen Hindernissen geprägt ist. Für uns junge Ärztinnen und Ärzte ist klar: Nach der Krise kann es kein „Weiter so!“ geben. Die Patientinnen und Patienten müssen – wie es in der derzeitigen Ausnahmesituation bereits geschieht – wieder konsequent vor der Profitorientierung rangieren.

Deshalb fordern wir:

  1. Ende der Profitmaximierung entgegen dem Patientenwohl: Menschen sollten keine Untersuchungen oder Behandlungen erhalten, nur weil sie ökonomisch lukrativ sind. Das bisherige Vergütungssystem mit seinem Drang nach Effizienzsteigerung setzt genau diesen Fehlanreiz. Die Folge: Ärzten wird es erheblich erschwert, ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen und frei zu entscheiden. Rechtlich ist diese Pflicht im Berufsrecht für Ärzte verankert, das als oberstes Gebot ärztlichen Handelns die Erhaltung und Widerherstellung der Gesundheit des Patienten bestimmt (§ 1 Abs.1 BÄO und § 1 Abs. 2 MBO). Das bedeutet: Wir möchten und dürfen ausschließlich medizinisch und menschlich sinnvolle Behandlungen durchführen, weil wir aus rechtlicher und berufsethischer Sicht dazu verpflichtet sind. Die von Geschäftsführungen und Leistungsträgern gewünschten, profitorientierten Prozeduren ohne medizinische Relevanz werden wir nicht ausführen, um Umsatzziele zu erfüllen. Ebenso werden wir aus diesen Gründen ökonomischen Anreizen widersprechen und Patienten keine Leistungen vorenthalten.
  2. Bürokratieabbau und Digitalisierung: Schluss mit den endlosen Dokumentationen zur Begründung von medizinischen Selbstverständlichkeiten. Wir Ärztinnen und Ärzte benötigen Zeit für unsere Patienten. Nötige Dokumentationen können verstärkt von zusätzlichem Fachpersonal vorgenommen werden. Auch eine bundesweit einheitliche Digitalisierung, die die Menschen in den Gesundheitsfachberufen entlastet, müssen wir weiter in Klinik und Praxis mit voller Kraft vorantreiben. Ohne Entlastung werden wir die hohen Ausfallraten in vielen medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Berufen nicht reduzieren und ihre Attraktivität nicht steigern können. Uns ist es im Sinne der Gesellschaft ein dringendes Anliegen, allen Beschäftigten in den Gesundheitsfachberufen ein erfüllendes Berufs- und Privatleben zu ermöglichen.
  3. Wissende Ärzte für eine zukunftsfähige Medizin: Für uns junge Ärztinnen und Ärzte ist es essenziell, dass wir zu guten Fachärzten werden. Die entsprechende Weiterbildung ist nur mit einer ausreichenden Personalausstattung möglich. Wenn ältere Ärzte ihr Wissen und ihre Fähigkeiten nicht mehr an Jüngere weitergeben können, weil ihnen die Zeit dazu fehlt, stehen wir vor einem dramatischen Qualitätsverlust, der uns allen schadet. Die Corona-Krise zeigt, dass das deutsche Gesundheitssystem eines der leistungsfähigsten der Welt ist. Wir als junge Ärztinnen und Ärzte sind dazu verpflichtet, dazu beizutragen, dass dies so bleibt. Dies kann gelingen, wenn Sie mit uns gemeinsam die Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen so verändern, dass sich eine Medizin für den Menschen nicht nur in den Gesetzen wiederfindet, sondern auch im medizinischen Alltag. Wir fordern Sie daher auf, gemeinsam mit den Nachwuchsorganisationen ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen zu erarbeiten und mit uns in den Dialog zu treten.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel, in Ihrer wichtigen Rede vom 18. März 2020 haben Sie alle Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, „füreinander einzustehen”. Bitte treten nun auch Sie für ein Gesundheitswesen ein, das sich am Wohle aller – und nicht am Profit orientiert.

Mit freundlichen Grüßen

Bündnis Junge Ärzte

Hartmannbund, Ausschuss Assistenzärzte

Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd)

Junge Allgemeinmedizin Deutschland (JADE)

Marburger Bund, Sprecherrat der sich weiterbildenden Ärztinnen und Ärzte