Carl Hanser Verlag, 1. Auflage 2018, ISBN 9783446258488, 26 €, auch als E-Book

Als die britische Wissenschaftsjournalistin Laura Spinney 2017 ihr Buch „Pale Rider: The Spanish Flu of 1918 and How it Changed the World“ schrieb, konnte sie nicht ahnen, wie aktuell das Thema werden würde. 2018 erschien es in Deutschland, aber richtig bekannt wird es erst jetzt, und dazu gibt es allen Grund:

Die „Spanische Grippe“ forderte mehr Opfer als beide Weltkriege zusammen. Die Grippe traf Politiker wie den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson(1856–1924), es starben Künstler wie Egon Schiele (1890–1918), Schriftsteller wie Guillaume Apollinaire (1880–1918), es erkrankten Franz Kafka und Ezra Pound, aber auch zu Tausenden die Männer in den Schützengräben Frankreichs, Frauen in der indischen Provinz und den Großstädten Brasiliens. Ob in Europa, Amerika, Asien oder Afrika, an vielen Orten brachte die Grippe die Machtverhältnisse ins Wanken, sehr wahrscheinlich beeinflusste sie den Ausgang des Weltkrieges und die Verhandlungen des Versailler Vertrags und trug so zum Zweiten Weltkrieg bei. Anhand von Schicksalen auf der ganzen Welt stellt Laura Spinney die ganze Bandbreite dieser Pandemie dar, und da können doch so manche Parallelen und Lehren gezogen werden. Alles schon mal dagewesen: Masken tragen ja oder nein, Schulschließungen ja oder nein, Geruchsverlust als Frühsymptom und vieles, vieles mehr. Dieses Buch ist drei Jahre vor Covid-19 geschrieben worden, aber es steht fast alles drin, was heute breit diskutiert wird. Sehr lesenswert und dabei unterhaltsam, wie sich die Ansichten gleichen, oder eben gerade nicht. So wird beschrieben, wie wenig hilfreich die Medizin war: Aspirin und Chinin (Vorläufer des heute so umstrittenen Chloroquins) verschlechterten offensichtlich die Prognose. Das erinnert nicht nur an die heutigen pharmakologischen Experimente, sondern auch an die kläglichen Versuche konventioneller Beatmungsstrategien. Auch damals kämpften die Schulmediziner erbittert gegen die Konkurrenz alternativer Heiler, die durchaus erfolgreicher waren, wie wiederum fast 100 Jahre früher, als die asiatische Cholera wütete. Damals glaubte die Schulmedizin, mit Aderlass und Flüssigkeitsrestriktion die Durchfälle zu behandeln, damals startete der Siegeszug der Homöopathie – nicht durch die wohl wirkungslosen Arzneien, sondern durch freie Flüssigkeitszufuhr und Verzicht auf Entblutung.

Das empfehlenswerte Buch liest sich leicht und spannend wie ein Krimi, ein paar kleinere Fehler sind der Übersetzung zuzuschreiben, wie die Verwechslung von “Typhus” (englisch für Fleckfieber) mit dem gleichlautenden deutschen Begriff, der die im im angelsächsischen Sprachraum „typhoid fever“ genannte Salmonellose benennt, oder die Zuschreibung des „Pfeifferschen Drüsenfiebers“ zu Richard Pfeiffer (1858–1945), dem Entdecker von Haemophilus influenzae als mutmaßlichem Erreger der Influenza. Da müssen wir doch zu unserem hessischen Landsmann, dem Pädiater Emil Pfeiffer (1846–1921) aus Wiesbaden halten, dem die Erstbeschreibung des nach ihm benannten Krankheitsbilds zukommt.

Dr. med. Stephan Heinrich Nolte, Marburg