Dr. med. Armin Fischer, PD Dr. med. Carmen Nölker, Dr. med. Cornelia Retzlaff

Einleitung

Das reversible posteriore leukoenzephalopathische Syndrom (PRES) wurde 1996 von Hinchey et al. [1] erstmals beschrieben. Zur Klinik gehören eine veränderte Bewusstseinslage, Kopfschmerzen, epileptische Anfälle und Sehstörungen, in der kranialen Magnetresonanztomographie (cMRT) werden symmetrische Hyperintensitäten auf T2/FLAIR-Sequenzen bzw. im Computertomogramm des Schädels (cCT) Hypodensitäten gefunden. [1]. Auffällig sind rasch einsetzender Hypertonus und Eklampsie; und Zytostatika, Immunsuppressiva, Bluttransfusionen und Transplantationen werden im Kontext gesehen [2]. Die Therapie richtet sich gegen die zugrunde liegende Ursache (z. B. Beendigung der Schwangerschaft, Antihypertonika). Meist bildet sich das Bild binnen Tagen bis Wochen komplett zurück, Residuen (z. B. Visusstörungen, Anfallsbereitschaft) oder Rückfälle sind beschrieben [3].

Eklampsie und HELLP-Syndrom (HELLP= Hemolysis Elevated Liver enzymes low platelet count) können zusammen auftreten, die Co-Inzidenz kann bis zu 22 % betragen [4].

Die geringe Zahl der in der Literatur beschriebenen Fälle der Kombination von Eklampsie, HELLP mit einem PRES erfordern besondere intensiv-medizinische und geburtshilflich-anästhesiologische Betreuung [5]. Eine schnelle Diagnosesicherung, eine effiziente antihypertensive Therapie und antikonvulsive Einstellung sind offenbar in der Lage, die Prognose günstig zu beeinflussen.

Fallbeschreibung

36-jährige III-Gravida II-Para (159cm Körperlänge, 69 kg Körpergewicht), diamniale dichoriale Geminigravidität, rechn. 36 5 SSW, Blasensprung seit 1 Stunde zu Hause, Abgang von klarem Fruchtwasser, rasch einsetzende, kräftige Wehentätigkeit. In der Anamnese 2 x Sectio wegen Beckenendlage (BEL) 2016 (2810g) und 2017 (2790g). In der Schwangerschaft keinerlei Auffälligkeiten, insbesondere keine Hypertonie, Ödemneigung oder Proteinurie.

Aufnahmelabor: Leukozytose von 20.270 x10³/µl, keine Thrombopenie oder Gerinnungsanomalie. Kräftige Wehentätigkeit, führender Zwilling in Beckenend-, zweiter Zwilling in Schädellage: Indikation zur Re-Sectio, bei zügigem Geburtsfortschritt unmittelbar und komplikationslos. Blutdruck bei Aufnahme 140/85 mmHg. Keine Atonie, Nachblutung oder ähnliches. Die Kinder unauffällig Knabe, 2260g, Mädchen, 1870g). Die Mutter wird nach der üblichen Überwachungsphase im Kreißsaal normotensiv auf die Wochenstation verlegt. Übliche postoperative Schmerzen. ist die Patientin zunächst unauffällig. Nacht: RR-Werte maximal 170/90 um 1:00 Uhr, 3:30 Uhr bei 130/70. Analgesie mit Paracetamol und Ibuprofen 600. Tropf mit Oxytocin 30 I.E. bis zum frühen Morgen. Um 7 Uhr RR 210/110, Puls 100 im Zusammenhang mit der Mobilisation, bei Kontrolle 150/80. Urin klar, relativ wenig Ausscheidung.

Patientin klagt bei der Visite um 8:30 Uhr über leichte Kopfschmerzen, ansonsten fühlt sie sich wohl. Laborkontrollen: Leukozytose (23.960 x10³/µl), leichte Thrombopenie von 119 x10³/µl, normale Gerinnung, Erhöhung der Leberwerte (GOT 335 U/l, GPT 185 U/l, AP 218 U/l) und ein Gesamtbilirubin von 1,46 mg/dl. Um 9 Uhr alarmiert der Ehemann wegen eines generalisierten Krampfanfalls der Mutter. Beim Eintreffen der Pflege und Ärzte ist der Anfall beendet (mit typ. Zungenbiß), die Patientin erhält 10 mg Diazepam i.v. und wird auf die Intensivstation (ITS) verlegt.

Neurologisches Konsil: Die Patientin ist wach, ansprechbar, adäquat reagierend und orientiert. Klinische neurologische Untersuchung: keine Auffälligkeiten (Pupillen isochor, Sprache und Motorik regelrecht, Hirnnerven unauff.). Anordnung einer antikonvulsiven Medikation mittels Levetiracetam, 2x 500mg, cMRT und Elektroencephalogramm (EEG) werden angemeldet. Der RR 150/100, Puls 100, in den nächsten drei Stunden Maxima bei 180/100, der Puls zwischen 60 und 90 bpm.

Die Patientin erhält Magnesium (Mg) 50 % über Perfusor sowie 25mg Nepresol per os (p.o.). Kopfschmerzen 5/10, Wundschmerz 1/10 unter Paracetamol 1g i.v. als Kurzinfusion. Um 15:30 gynäkologische Visite: Verband etwas durchgeblutet, Uterus fest, die Thrombozyten haben um 12:30 Uhr 63.000/µl erreicht, um 16:45 Uhr auf 65.000 angestiegen. CK bei 316 U/l.

Die Patientin isst dann mit Appetit ihr Abendbrot, ist orientiert und reagiert adäquat. Der gynäkologischen Spätvisite um 21 Uhr fällt eine gewisse motorische Unruhe auf. Sie scheint nach kurzer Konversation einzuschlafen, was auf die Medikation zurückgeführt wird. Antibiose Unacid 3g, Sandsack wegen Thrombopenie und Blutungsneigung der Wunde. Mg 50 % läuft mit 2 ml/h kontinuierlich, das Antikonvulsivum wird alle acht Stunden i.v. verabreicht und gut vertragen. Mit Presinol 250 mg 1–1–1 ist der Blutdruck mit 160–180/80–90 mmHg eingestellt, es werden im Durchschnitt 200 ml/h Urin ausgeschieden. Die O2-Sättigung liegt bei 97 /- 1%., die Atemfrequenz bei 15 /- 1/min. Keine Schmerzen unter Paracetamol oral. Die Patientin ist auch um 21:45 sehr schläfrig (nach Rivotril 1 mg wegen der Unruhe), aber auf Ansprache erweckbar.

Bei der nächsten Morgenvisite ist die Patientin schläfrig. Sie ist weckbar und orientiert, der Verband ist trotz Sandsack erneut durchgeblutet. Drei Tackerklammern stoppen die Blutung, die Patientin reagiert nicht auf den Schmerzreiz. Bei der Visite am Mittag rückläufige RR-Werte (130–140/ 80–90), die Patientin ist somnolent und reagiert auf Ansprache inadäquat. Ausscheidung nach wie vor gut. Die Transaminasen sind rückläufig (GOT 167, GPT 144, GGT 11, Bilirubin 1,39, Thrombozyten 67.000, Leukozytose persistiert bei 22.200). Nach dem Mittagessen berichtet die Patientin über Visusstörungen (unscharfe Bilder).

Im MRT Schädel erhebliche ödematöse Veränderungen des Hirnparenchyms bilateral, im Marklager, parasagittal, parietookzipital beidseits sowie in den Basalganglien, im Thalamus und im Hirnstamm mit räumlich geringergradig ausgeprägter Diffusionsstörung, vor allem in zentralen Hirnschenkeln und diskreter Kontrastmittelaufnahme, insbesondere hoch dorso – parietal parasagittal bds, rechts mehr als links, am ehesten hyperämisch, DD Vaskulitis bei bekanntem HELLP-Syndrom, DD toxische Reaktion. Unauffällige Darstellung des venösen kranialen Gefäßsystems.

Es erfolgt die Verlegung auf eine neurologische ITS einer in der Umgebung gelegenen Klinik bei Hirnödem ohne Einklemmungszeichen unter dem Verdacht auf PRES.

Bei der Aufnahme in der neurologischen Klinik fand sich die Patientin somnolent, erweckbar, zeitlich desorientiert, kooperativ. Keine Aphasie, keine Dysarthrie, kein Meningismus. Pupillen isokor, mittelweit, prompt lichtreagibel. Unauff. Okulomotorik. Fingerperimetrisch kein Gesichtsfelddefekt, Visusminderung bds. i.S. eines unscharfen Sehens. Keine faziale Parese, untere Hirnnerven intakt. Keine manifesten/latenten Paresen, kein sensibles Defizit, Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft erhältlich. Pyramidenbahnzeichen negativ. Finger-Nase- und Knie-Hacke-Versuch seitengleich metrisch. Im EKG Sinusrhythmus. CK 241 U/l, GPT 129 U/l., abfallend, Thrombozyten 84.000, auf 93.000 ansteigend. Im Verlauf deutliche Befundbesserung, die Blutdruckwerte sanken, die Patientin war wieder orientiert. Magnesiumsulfat und Levetiracetam wurden beibehalten, schrittweises Ausschleichen empfohlen. Die Patientin wurde wieder zurückverlegt.

Bei Ankunft hier war die Patientin neurologisch deutlich gebessert und gynäkologisch unauffällig. Blutdruckwerte um 140/80 mm Hg unter Presinol 250mg 1–1–1, welches schrittweise reduziert werden konnte.

Leukozyten bei Entlassung 14.970/µl, Thrombozyten 570.000/µl. Gerinnung unauffällig. Leberwerte im Normbereich. In Kontroll-cMRT deutliche Regredienz der multifokalen Befunde. Keine persistierende Infarzierungen, am ehesten „PRES-Syndrom“ anzunehmen.

Bei der Entlassung gibt die Patientin noch allenfalls leichte Visusauffälligkeiten an. Motorisch keine Defizite. Klinisch restitutio ad integrum. MRT-Befunde (vgl. Abb. 2a-c, siehe PDF-Version). Nach vier bzw. sechs Wochen unauffälliges MRT (Abb. 3a-c, siehe pdf-Version) und unauffälliger neurologischer Befund.

Diskussion

Die Tatsache, dass Eklampsie und HELLP-Syndrom kombiniert auftreten können, ist in der Geburtshilfe bekannt [4]. Nach [6] finden sich PRES bei 92 % der eklamptischen und 19 % prä-eklamptischen Frauen ohne signifikanten Unterschied bzgl. Alter und mittleren Blutdruckwerten (Hkt., Serum-Kreatinin, AST, ALT und LDH waren in der PRES-Gruppe deutlich erhöht – ohne Unterschied zwischen den zwei oben genannten Subpopulationen). PRES findet sich bei einer Inzidienz von bis zu 20 % bei den präeklamptischen Fällen. Daher sollte bei assoziierten klinischen Symptomen (Visusstörung, Somnolenz, Kopfschmerzen) auch vor dem Auftreten von Krampanfällen an ein PRES gedacht werden [7–9]. Ein Status epilepticus und eine längere Liegedauer auf der ITS sind prognostisch ungünstig. Als unabhängige prädiktive Faktoren für das Auftreten eines PRES wurden die Sehstörung, Primigravidität und eine im Verlauf unüberwachte Schwangerschaft identifiziert.

In der Literatur finden sich Fallbeschreibungen sowohl mit der Kombination Einlings- wie von Zwillingsschwangerschaft, Eklampsie und PRES, überwiegend aus dem nahen oder fernen Osten bzw. dem afrikanischen Kontinent [11, 12].

Frühe Diagnostik und konsequente Behandlung der Hypertension und Krampfbereitschaft verbessern die Prognose [13].

Als Entstehungsmechanismus diskutiert man eine gestörte zerebrale Autoregulation bei hypertonen Episoden (Hyperperfusion, gesteigerte Gefäßpermeabilität, vasogenes Ödem) oder ein zytotox. Ödem auf dem Boden von Vasospasmus und Ischämie [14, 15]. Das bevorzugte Auftreten im posterioren zerebralen Stromgebiet dürfte in der verminderten sympathischen Innervation dieser Gefäße zu suchen sein (geringere Autoregulationsfähigkeit und damit stärkere Anfälligkeit gegen Hypertension) [16–18].

Hinsichtlich des pathophysiologischen Triggers besteht noch keine einheitliche Meinung. Eine Störung der Blut-Hirn-Schranke scheint als Pathomechanismus bedeutsam zu sein [19]. Der intrakapilläre hydrostatische Druck unter dem Einfluss des systemischen Hypertonus und eine Schädigung des kapillären Endothels können hierfür verantwortlich sein. Bei PRES ist wegen des Risikos der Einblutung Zurückhaltung mit Antikoagulantien angeraten. Es ist eine großzügige Indikation zur Anwendung von Antiepileptika gegeben. Eine schnelle Diagnosesicherung, eine effiziente antihypertensive Therapie und eine antikonvulsive Einstellung sind offenbar in der Lage, die Prognose günstig zu beeinflussen [20].

Das Routine-cMRT ist nicht geeignet, zwischen zwei Patientenkollektiven mit unterschiedlicher Prognose nach Krampfanfall zu unterscheiden [21]. Mit schnellen epi-diffusionsgewichteten MRT-Sequenzen hingegen kann zwischen der hypertensiv-ischämischen Enzephalopathie und dem Hirninfarkt unterschieden werden.

Laborchemisch stellt die erhöhte Serum-LDH als ein Marker für die zerstörte endotheliale Integrität einen Indikator für ein sich entwickelndes Hirnödem dar [22].

Schlussfolgerungen

  • Die Assoziation von PRES, Eklampsie und HELLP-Syndrom ist insgesamt in der Literatur nicht sehr häufig.
  • Bluthochdruck und das Auftreten eines Krampfanfalls (Eklampsie) sollten den Blick für das Auftreten eines PRES sensibilisieren [23].
  • Dabei ist auf die PRES-assoziierten klinischen Symptomen (Visusstörung, Somnolenz, Kopfschmerzen) zu achten [6].
  • Im Falle eines Krampfanfalles in einer Schwangerschaft/Wochenbett ist es wichtig, auch eine andere Ätiologie als den klassischen eklamptischen Anfall in Erwägung zu ziehen, z. B. ein PRES.
  • Auch im fortgeschrittenen Wochenbett können Krampfanfälle ohne präeklamptische Prodromi auftreten. Eine zeitnahe cMRT-Diagnostik ist in jedem Fall zu veranlassen [24, 25]
  • Zeitnahe Diagnosestellung und eine adäquate antihypertensive und antikonvulsive Therapie in der Akutsituation verbessert die Prognose einer restitutio ad integrum erheblich [5, 19]
  • Wegen möglicher Spätfolgen ist ein neurologisches follow-up sinnvoll und zu empfehlen [12]

Dr. med. Armin Fischer, Chefarzt Gynäkologie & Geburtshilfe, Klinikum Werra-Meißner, Eschwege, Zentrum für Frauenheilkunde und Geburtshilfe

<sup/>

PD Dr. med. Carmen Nölker, Fachärztin für Neurologie, Zentrum für Neurologie, Klinikum Werra-Meißner

Dr. med. Cornelia Retzlaff, Fachärztin für Diagnostische Radiologie, Radiologie Eisenach-Eschwege, Mühlhäuser Str. 94 Haus M, Eisenach – Klinikum Werra-Meißner

 

Die MRT-Abbildungen des Krankheitsverlaufes und der Therapie sowie die Literaturhinweise finden Sie in der PDF-Version der aktuellen Ausgabe auf unserer Website.