Reform droht, Gesundheitssystem zu ruinieren
Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen warnt vor Qualitätsverlust der Patientenversorgung
Bad Nauheim. In seinem Bericht zur letzten Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen in der Legislaturperiode 2000 – 2004 warnte Kammerpräsident Dr. med. Alfred Möhrle vor einem dramatischen Qualitätsverlust bei der Versorgung der Bevölkerung als Konsequenz des Gesundheitsmoderni-sierungsgesetzes (GMG). Er betonte, dass die Zahl der Patienten niedergelassener Ärzte im jetzt zu Ende gehenden Quartal deutlich gesunken sei. Der Rückgang bewege sich zwischen 10 und 20%. Es bleibe abzuwarten, ob dies auf die sogenannte „Praxisgebühr", die richtigerweise „Krankenkassenzusatzbeitrag" heißen müsse, zurückzuführen sei. Fest stehe jedoch, dass die Auswirkungen des GMG bei vielen Ärztinnen und Ärzte tatsächlich den Lebensnerv träfen. „Es ist zu befürchten, dass es der Politik gelingt, innerhalb kurzer Zeit ein funktionierendes Gesundheitssystem zu ruinieren und die Versorgung der Bevölkerung auf ein Mittelmaß herunterzufahren," sagte der Kammerpräsident.
Solidargedanke in Frage gestellt
Es dürfe nicht übersehen werden, dass mit der Erhöhung der Selbstbeteiligung an medizinischen Leistungen und Medikamenten nur der Teil der Versicherten „bestraft" werde, der von Krankheit betroffen sei. „Wo bleibt der Solidargedanke, wenn man diejenigen, die unfreiwillig in die Lage versetzt worden sind, die Leistungen des Systems in Anspruch nehmen zu müssen, zusätzlich zur Kasse bittet", empörte sich Möhrle unter dem Beifall der Delegierten. Die Regierung müsse sich fragen lassen, ob dies sozial verträglich sei.
Ausdünnung der fachärztlichen Versorgung
Kritisch bewertete der hessische Kammerpräsident auch die neuen Versorgungsformen, die durch die Bestimmungen des GMG künftig für die Organisation der ärztlichen Versorgung eröffnet würden. Möhrle sprach dabei namentlich die Versorgungszentren, die durch Krankenhäuser eingerichtet werden sollen, und das Bemühen großer Kliniken an, in die integrierte Versorgung einzusteigen. Es sei zwar zu verstehen, dass viele Kliniken dies als Möglichkeit betrachteten, ihre Finanzierungsgrundlage zu verbreitern. Es werde dabei aber übersehen, dass auf diese Weise die ambulante fachärztliche Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte gefährdet und ausgedünnt werde.
Wenn erst einmal die Niedergelassenen aus dem Feld geworfen seien, würden die Krankenkassen mit Sicherheit die Daumenschrauben anziehen und dann auch die Preise für die Krankenhäuser absenken, prognostizierte Möhrle. Die Folge sei die Beseitigung der flächendeckenden Versorgung – analog zum Sterben der Tante-Emma-Läden vor 30 Jahren. Einig waren sich die Delegierten darin, dass der ambulante und der stationäre Bereich im Gesundheitswesen gleichermaßen von negativen Auswirkungen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) betroffen seien.
Elektronische Gesundheitskarte und „Health Professional Card"
In Zusammenhang mit der geplanten Einführung der elektronischen Gesundheitskarte zum 1. Januar 2007 sagte Möhrle immense Kosten voraus. Nach Aussage von Fachleuten handele es sich dabei um ein noch größeres und schwierigeres EDV-Projekt als das Toll-Collect-Unternehmen. Es werde Milliarden kosten, wobei unsicher sei, ob es zum vorgesehenen Zeitpunkt tatsächlich funktionieren werde. In Verbindung damit sei die Einführung des elektronischen Arztausweises, der „Health Professional Card", seitens der Ärzteschaft unumgänglich. Hier kämen offenbar unvorhersehbar hohe Kosten und Folgekosten auf die Ärzte zu. Möhrle erklärte, er werde sich bei der Bundesärztekammer dafür einsetzen, diese Angelegenheit eingehend zu prüfen. Gegebenenfalls werde der Gesetzgeber, der die Gesundheitskarte einführe und damit den Arztausweis erforderlich mache, dafür sorgen müssen, diesen Arztausweis zu entwickeln und den Ärzten zur Verfügung zu stellen.
Positiv: Abschaffung des AiP
Ausdrücklich begrüßte die Delegiertenversammlung die Abschaffung der AiP-Phase zum 1. Oktober 2004. Sie werde zwar zu vorübergehenden Honorierungsproblemen im Krankenhaus führen, doch sei es erfreulich, das damit die finanzielle Ausbeutung junger Ärztinnen und Ärzte ein Riegel vorgeschoben werde.
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