Es sind wahrlich unruhige Zeiten. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine tobt weiter. Als wäre das nicht genug, sah Israel sich gezwungen, nach dem Terrorangriff der radikalislamischen Hamas den Kriegszustand auszurufen. Und das sind beileibe nicht die einzigen Konfliktherde auf der Welt. Zum Glück enden nicht alle Konflikte mit dem Griff zu tödlichen Waffen. Festzuhalten ist aber unmissverständlich, dass ein friedliches Miteinander nach wie vor eine der größten Herausforderungen darstellt, die die Menschheit zu bewältigen hat.

Auch wenn die Landesärztekammer nur einen sehr kleinen Ausschnitt dieser Welt darstellt, bin ich froh und dankbar, dass es in diesem kleinen Kosmos regelhaft gelingt, unterschiedliche Sichten ernsthaft und mit gegenseitigem Respekt zu diskutieren, um dann eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden. „Mit Teamgeist voran“, nennt mein geschätzter Kollege Dr. med. Christian Schwark das treffend (siehe S. 606).

Das kann ich nur ganz dick unterstreichen. Denn nicht nur die Weltpolitik steht vor gewaltigen Aufgaben, sondern auch Deutschland und hier natürlich auch das Gesundheitssystem.

„Das deutsche System ist eine Zumutung.“, überschrieb die Universität Siegen eine Mitteilung vom 23.05.2023. In einer Studie hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uni Siegen und des Mannheimer Zentrums für europäische Sozialforschung den Übergang von der Krankenhausversorgung zur Anschlussversorgung zu Hause bzw. im Heim in Deutschland mit Schweden, den Niederlanden und der Schweiz verglichen.

Deutschland bildete das Schlusslicht – es fehlt an funktionierenden Strukturen, qualifiziertem Personal und klaren Zuständigkeiten. „In Deutschland ist es in erster Linie Aufgabe der Patientinnen und Patienten sowie ihrer Angehörigen, notwendige Pflegeleistungen nach einem Krankenhausaufenthalt zu organisieren“, erklärte der Siegener Gesundheitssoziologe und Leiter der Studie, Prof. Dr. Claus Wendt. „Ältere Menschen benötigen meist unterschiedliche Leistungen und sind auf die Kooperation mehrerer Anbieter angewiesen. Das macht die Sache komplex – zumal es in Deutschland kein digitales System gibt, in dem Pflegedienste und -Einrichtungen mit ihren Kapazitäten erfasst sind. Dann haben Sie in einer Region zehn verschiedene Anbieter – wissen aber nicht: Wo sind noch Plätze frei?“

Und das ist ja nur ein Teilaspekt unseres über die Maßen komplexen Systems. Mehr als einmal habe ich mich schon gefragt, wie alleinstehende ältere oder eher wenig gebildete Menschen ohne Hilfe und ohne Netzwerk in den Untiefen dieses Systems zurechtkommen, ist das doch selbst für uns Ärztinnen und Ärzte oft eine Zumutung, die dann auch noch von überbordender Bürokratie gekrönt wird. Immerhin hatte Minister Lauterbach ja zum 30. September 2023 ein eigenes Bürokratieentlastungsgesetz für das Gesundheitswesen angekündigt. Wir dürfen gespannt sein, auch wenn ich vor allzu großen Hoffnungen warnen möchte. Die eigene Frist hat der Minister schon verstreichen lassen, denn trotz größter Aufmerksamkeit habe ich bis zum Schreiben dieser Zeilen keine entsprechende Veröffentlichung finden können. Aber vermutlich muss man hier „Nachsicht“ üben, denn bei der Vielzahl der Stellungnahmen und Empfehlungen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung kann man als Minister schon einmal das eine oder andere aus dem Auge verlieren, selbst wenn es sich dabei um so große Bereiche wie die ambulante Versorgung handelt. Vor wenigen Tagen titulierte der bekannte Kollege und Medizinjournalist Dr. Werner Bartens in der Süddeutschen Zeitung gar „Doktor Frust“. Sein Artikel endet:

„Die Warnzeichen sind alarmierend. Viele Ärzte sind verbittert. Die IT zu abstrusen Kosten und mit wenig Nutzen braucht einen patientendienlichen Neustart. Ärzte müssen entlastet werden von fachfremden Aufgaben. Sonst zeichnet sich eine durchökonomisierte, unpersönliche Medizin ab. Die Erosion des Arztberufs nimmt erschreckende Ausmaße an – und das auf einem Feld, das einst mit dem höchsten Sozialprestige glänzte. Es droht das Ende der guten Praxis.“ Ist das der geplante Übergang in die Staats­medizin?

Damit genau das nicht passiert, müssen und werden wir zusammen für unseren Arztberuf und den Erhalt der Selbstverwaltung kämpfen, denn trotz aller Widrigkeiten würde ich wie die große Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen den Arztberuf erneut wählen. Wir lassen uns nicht entmutigen!

Dr. med. Edgar Pinkowski, Präsident