Zum Redaktionsschluss für diese Ausgabe des HÄBL lag das Ergebnis der Kammerwahl noch nicht vor. Aber eines kann auch ohne Detailwissen bereits jetzt festgestellt werden: Die Wahlbeteiligung an der Kammerwahl für die kommende, fünfjährige Legislaturperiode ist zu gering. Nicht nur aus der Erfahrung der vergangenen Wahl (die Beteiligung lag 2018 unter 40 %), sondern auch aus der Notwendigkeit heraus, dass wir mehr denn je eine starke Stimme unserer Standesvertretung brauchen.

„Intern in der Sache hart streiten, um extern den Problemen gemeinsam zu begegnen“

Für gute Lösungen braucht die Politik die Kammern

Von politischer Seite können wir nicht auf Lösungen für die gravierenden Probleme im Gesundheitssystem hoffen (konnten wir nie). Im Gegenteil – bisher gelang es den Entscheidern in der Gesundheitspolitik sehr gut, die Spaltung der Ärzteschaft zu nutzen.

Zielsicher wurde der Streit zwischen den Ärztinnen und Ärzten in Kliniken und dem ambulanten Sektor oder auch dem öffentlichen Dienst geschürt. Wenn auch nur der Verdacht aufkam, dass eine Seite durch Reformen oder Gesetzesänderungen bevorzugt oder vernachlässigt wurde, standen wir bereit, um uns selbst zu attackieren.

Die ärztliche Weiterbildung ist in Gefahr

Die hessische Delegiertenversammlung und auch der Deutsche Ärztetag haben die Politik aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass auch zukünftig Weiterbildung in den Kliniken in einem Umfang möglich sein muss, der genügend Fachärztinnen und Fachärzte für die Versorgung in Klinik und Niederlassung zur Verfügung stellt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Kammern – für die Überwachung und die inhaltliche Struktur der Weiterbildung allein verantwortlich – werden ignoriert, wenn Warnsignale an die Politik gesendet werden.

Wir werden bald keine Nachfolgerinnen und Nachfolger für eine Praxisweitergabe mehr haben, weil sie schlichtweg nicht in den Kliniken weitergebildet werden. Zuzug aus dem Ausland reicht nicht aus und ist ein grundsätzlich unsolidarisches Prinzip, da naturgemäß Ärztinnen und Ärzte aus Ländern zu uns kommen, in denen es noch gravierender um die Gesundheitsversorgung bestellt ist.

Eine Anfrage im Landtag an die Regierung zur Schaffung von Studienplätzen wurde mit der lapidaren Auskunft beantwortet, es reiche bereits, dass man die Teilstudienplätze in Marburg in volle Studienplätze gewandelt habe. Hessen sei ohnehin ein Land, dass überproportional Studenten ausbildet – getreu dem Motto: Mögen die anderen doch machen, mehr geht bei uns nicht.

Auch das Argument, es gebe ja so viele Ärztinnen und Ärzte wie nie zuvor, ignoriert, dass individuelle Entscheidungen im Wandel der Gesellschaft zu mehr Teilzeittätigkeiten und damit weniger Arbeitsstunden führen – egal wie oft dieses Argument wiederholt wird.

Die Zukunft erfordert eine starke Stimme unserer Standesvertretung

Die Perspektiven in den nächsten Jahren sehen nicht gut aus für die Ärzteschaft – und dies auch, weil wir uns so gut auseinanderdividieren lassen:

  • Die Unterversorgung durch ein Krankenhaussterben und fehlende Nachbesetzung von Praxen wird sich deutlich verschärfen.
  • Der gravierende Mangel an Personal in den Kliniken und Praxen wird zu mehr Leistungseinschränkungen führen.
  • Die Demografie verschärft die Versorgungsprobleme: weniger medizinisches Personal für mehr Patientinnen und Patienten.
  • In Zukunft wird es für junge Kolleginnen und Kollegen zwar nicht schwer sein, eine Arbeitsstelle am gewünschten Ort zu finden – aber umso schwerer, die passende Weiterbildung zu bekommen.
  • Die Ökonomisierung macht die Gesundheitsberufe unattraktiver, da jedes Renditestreben langfristig Geld dem Gesundheitssystem entzieht.

Jeder abgegebene Stimmzettel zählt

Am Beispiel der Übernahme von MVZ durch Finanzinvestoren zeigt sich, dass die Stimme der Ärzteschaft deutlicher und früher gehört werden muss, damit die Politik rascher handelt. Notwendige Gesetzesänderungen dauern hier einfach zu lang.

Auch eine gute Digitalisierung könnte helfen – scheitert aber bisher in den meisten Bereichen. Die Liste der Themen ist noch um einiges länger. Ich möchte es bei einem Aufruf für die die nächste Legislatur belassen: Auch wenn mal wieder zu wenig Stimmzettel unserer Kolleginnen und Kollegen für die Kammerwahl zurück geschickt wurden, braucht die Ärzteschaft eine geeinte Vertretung im hessischen Ärzteparlament. Dies ist der Ort, wo wir intern in der Sache hart streiten dürfen, um dann aber extern gemeinsam den Problemen zu begegnen.

Dr. med. Lars Bodammer, Präsidiumsmitglied der Landesärztekammer Hessen