Gibt es evidenzbasierte Indikationen?
Kurzversion eines Artikels aus „Arzneiverordnung in der Praxis“, siehe unten.
Zusammenfassung
Verschiedene Omega-3-Fettsäuren (ω3FS), insbesondere Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA), werden in unterschiedlichsten Dosierungen als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet. Die für den Menschen ausreichende/optimale Zufuhrmenge an ω3FS ist jedoch bislang unbekannt. Die aktuelle Studienlage liefert keine Rationale dafür, die derzeit verfügbaren ω3FS-Supplemente bei irgendeiner Patientengruppe zur Senkung des kardiovaskulären Risikos einzusetzen. Gleiches gilt für die Anwendung zur Prophylaxe oder Therapie von Demenzen, neurodegenerativen Erkrankungen, Depressionen, Tumorkachexie und für die unspezifische Anwendung bei kritisch Kranken.
- Es gibt jedoch Indizien für positive Effekte der ω-Linolensäure.
- Möglicherweise vorteilhaft ist die (hochdosierte) ω3FS-Supplementation in Schwangerschaft und Stillzeit zur Prophylaxe von Atopie und Frühgeburtlichkeit sowie
- bei Intensivpatienten mit akutem Atemnotsyndrom (ARDS), akuter Lungenschädigung (ALI) oder Verbrennungstrauma.
- Die einzigen evidenzbasierten Indikationen für ω3FS-Supplemente sind die Anwendung bei bestimmten Stadien der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) und, mit Einschränkungen, die Zweitlinientherapie bei Hypertriglyzeridämie.
Kardiovaskuläre Erkrankungen
In keinem anderen Bereich wird die Supplementation mit ω3FS derartig postuliert wie zur Prävention und ergänzenden Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen. Hintergrund sind epidemiologische Studien, die einen protektiven Effekt einer erhöhten ω3FS-Zufuhr suggerieren. Die aktuelle Studienlage liefert hierfür jedoch keine starke klinische Evidenz.
- Es zeigte sich geringe Evidenz dafür, dass die erhöhte Zufuhr von α-Linolensäure (ALA) das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, KHK-Mortalität und Arrhythmien geringfügig reduzieren könnte.
- Patienten mit Atherosklerose oder weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren, die eine leitliniengerechte Arzneimitteltherapie erhalten, haben durch die ω3FS-Supplementation in der bisher üblichen Form keinen Zusatznutzen.
→ Ein Ernährungsverhalten, das insgesamt reich an Seefisch, pflanzlichen Ölen, Nüssen, sekundären Pflanzenstoffen, Mikronährstoffen und Ballaststoffen ist und umgekehrt arm an (verarbeiteten) Fleischprodukten, führt insgesamt zu einer niedrigeren kardiovaskulären und Gesamtmortalität.
- Die Studienlage liefert außerdem keine Evidenz für die ω3FS-Supplementation bei Patienten mit Alzheimer-Demenz oder anderen Demenzformen.
- Bei der Behandlung der Hypertriglyzeridämie können ω3FS-Supplemente eingesetzt werden [...].
Weitere Anwendungsgebiete
Altersabhängige Makuladegeneration (AMD)
Bei bestimmten Formen der AMD („AREDS-Kategorien“) ist die Anwendung spezifischer Nahrungsergänzungsmittel Teil der leitliniengerechten Therapie.
Depression
Es gibt ältere randomisiert-kontrollierte Studien, die Hinweise auf eine antidepressive Wirksamkeit kombinierter EPA/DHA-Supplemente liefern. Aktuelle Meta- analysen konnten dies nicht bestätigen.
Tumorkachexie
In der aktuellen Leitlinie der Europäischen Gesellschaft für Klinische Ernährung und Stoffwechsel wird die Supplementation von ω3FS bei Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung und laufender Chemotherapie empfohlen, um Appetit und Körpergewicht zu steigern. Die zugrunde liegende Datenbasis ist jedoch sehr inkonsistent. [...] Unklar ist, welche Patientengruppe bei welcher Tumorentität und welchem Therapieregime von einer Supplementation profitieren würde. Aktuelle Reviews sehen keinerlei Evidenz für die Anwendung von ω3FS-Supplementen bei Tumorkachexie. Befürchtungen einer Wirkungsabschwächung bei einer Chemotherapie durch ω3FS-Supplemente haben sich bisher nicht bestätigt.
Schwangerschaft und Stillzeit
Hinweise, dass eine ω3FS-reiche Ernährung in Schwangerschaft und Stillzeit das Atopierisiko des Kindes reduzieren könne, scheinen neuere Daten zu bestätigen (COPSAC-Kohorte).
Intensivmedizin
Die Datenlage zur Anwendung von ω3FS bei Intensivpatienten ist extrem heterogen und nicht aussagekräftig. Die besten Daten für positive Effekte von ω3FS (bei unklarer optimaler Dosierung) gibt es für Patienten mit akutem Atemnotsyndrom (ARDS) und akuter Lungenschädigung (ALI) (Krankenhausverweildauer, Beatmungsdauer, Mortalität) sowie für Intensivpatienten mit schwerem Verbrennungstrauma (Sepsisrate, Komplikationsrate).
→ Es gibt zur präventiven oder therapeutischen Nutzung von ω3FS noch erheblichen Forschungsbedarf.
Prof. Dr. rer. nat. Martin Smollich, Lübeck, E-Mail: martin.smollich@uksh.de
Den Artikel mit Tab. 1 & 2 und Literatur lesen Sie in „Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) 2019; 46: 143–151, frei abrufbar unter: www.akdae.de.