Roman. KLAK-Verlag Berlin 2020, Klappenbroschur, 334 Seiten, ISBN 9783948156282, € 19.90
Das Buch erzählt über eine Ärztin, von der Autorin Ada Maar Kollneck genannt, die ein nahezu unglaubliches Schicksal in den politischen und Kriegswirren des 20. Jahrhunderts erlebt hat. Geschrieben als quasi-dokumentarischer Erstlingsroman von einer jungen Autorin, die mehrere Jahre als Hebamme gearbeitet hat und sich für die aufrechte Haltung ihrer Protagonistin zugleich mit positioniert.
In Breslau 1899 als älteste und „eigensinnigste“ Tochter eines Allgemeinarztes und Geburtshelfers geboren, beschließt die davon Geprägte mit 15 Jahren, Ärztin zu werden. Sie studiert trotz Widrigkeiten seitens männlicher Kommilitonen in der Nach-Weltkriegszeit in München und legt das Staatsexamen 1924 in Breslau ab. 1926 promoviert sie über Lymphome und lymphatische Leukämie und übernimmt kurz danach in der Garnisons- und aufstrebenden Industriestadt Pirna bei Dresden eine große Kinderarztpraxis. Neben unermüdlicher, hoch anerkannter Praxistätigkeit, bekommt sie mit der Liebe ihres Lebens vier Kinder. Sie behält ihren Mädchennamen und zieht die Töchter eigenständig mit Hilfskräften auf, ohne mit dem Ehemann unter einem Dach zusammen zu leben. In den politischen Veränderungen und Brutalitäten der frühen Nazi-Zeit der 1930er-Jahre bleibt sie im Einsatz als Allgemeinmedizinerin für ihre zumeist armen Patienten und behandelt insgeheim auch die jüdische Bevölkerung wie zuvor. Im Krieg kümmert sie sich um verwundete Soldaten und zivile Bombenopfer. Entsetzt erfährt sie kurz vor Kriegsende von den geheimen Vernichtungen tausender „lebensunwerter Leben“ in der naheliegenden Festung Pirna-Sonnenstein zwischen 1940 und 1942, als die grausige Wahrheit der lokalen Bevölkerung nicht mehr verborgen werden konnte.
In den Kapitulationswirren 1945 versucht sie, mit den Töchtern im Praxis-Auto nach Westen zu fliehen und scheitert nach wenigen Kilometern am Einmarsch. Sie kehrt unbeschadet nach Pirna zurück und erlebt die russische Besetzung mit grausamen Wirklichkeiten, insbesondere massenhaften Vergewaltigungen. Trotz Strafrisiken führt sie bei den betroffenen Frauen illegale, aber medizinisch einwandfreie Abtreibungen durch. Nach Gründung der DDR 1949 nimmt sie weiterhin staatlich verbotene Abtreibungen bei sozialen Notlagen vor. 1955 wird sie angezeigt, hart abgeurteilt und verbringt zwei Jahre im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck. Auf Bewährung überträgt man ihr eine Praxistätigkeit im Erzgebirge. Erst als Rentnerin kann sie 1959 in die Nähe ihrer Töchter und ihres Mannes nach Wiesbaden übersiedeln. Dort übernimmt sie sofort Vertretungen in Kinderarztpraxen. Geehrt von der Ärztekammer für ihr 50-jähriges Doktorjubiläum beendet sie die ärztliche Arbeit im hohen Alter und verstirbt mit 88 Jahren.
Ein sehr einfühlsames und spannendes Buch über eine Frauenfigur von großer Klugheit, enormer Willenskraft und unbeugsamem Mut, sich Unmenschlichem in zwei Diktaturen entgegen zu stemmen.
Dr. med. H. Christian Piper