Selbst wenn ich wollte – über ein anderes Thema als die Corona-Pandemie könnte ich nicht schreiben. So sehr hat dieses Thema Besitz ergriffen von all unseren Gedanken, unserem Tun und unserer Planung. Deshalb wird es nun einen kleinen Bericht über Corona seit Anfang März bis heute, Gründonnerstag, geben, welcher erst am 25. April erscheint. Genau da liegt das Problem: Wissen wir heute, was in ein paar Wochen sein wird? Wir haben in der Klinik bereits im Februar begonnen, uns mit dem Thema zu beschäftigen, genauer gesagt bei einem Treffen der hessischen ZNA-Direktorinnen und Direktoren. Da gab es noch ganz unterschiedliche Einschätzungen. Diese Diskussion hat sich dann rasch über alle Abteilungen, sowohl medizinische als auch administrative, ausgebreitet und in der Klinik wurden die ersten Sitzungen einberufen (der Hygieniker), das Gesundheitsamt wurde kontaktiert. Wo können wir die Abstriche hinschicken zur Untersuchung? Wie ist die Logistik? Alles noch irgendwie weit weg und doch vor der Tür. Dann begannen die täglichen Blicke auf die Website des Robert-Koch-Institutes (RKI), die Zahlen, Orte, Landkreise, in denen die ersten Infektionen auftraten. Wir wurden unruhiger. Ich sah am 5. März die Pressekonferenz des RKI und dachte: Eine sehr ruhige entspannte Stimme sagt so ernste und beunruhigende Worte, eindringlich, wiederholend die Worte Krise und Epidemie – wie passt das zusammen?
Spätestens nach den Berichten aus Italien bin ich zutiefst erschrocken, und da erst wurde mir das ganze Ausmaß der Tragödie bewusst. Die Zahlen auf der Karte des RKI schnellten nach oben, alle, überall, jetzt auch Zahlen der an der Covid-19 Erkrankten, die gestorben sind. Die Sitzungen wurden häufiger, mehrmals am Tag. So ein großes Schiff wie ein Krankenhaus der Maximalversorgung ist schwierig umzulenken, anzuhalten, auf einen anderen Kurs zu bringen.
Ein Land wie Deutschland oder gar Europa ist noch viel träger, das Bremspedal muss lange gedrückt sein. Zum Glück hat bei uns der Ärztliche Bereitschaftsdienst zusammen mit dem Gesundheitsamt früh die Möglichkeit einer ambulanten Versorgung mittels Testcenter etabliert, und wir mussten in der Notaufnahme nicht mehr den ganzen Tag Telefonate beantworten. In der Klinik wurde nun kraftvoller gearbeitet, auf allen Ebenen. Stationen wurden geräumt, Isolierbereiche definiert, Intensivkapazität freigeräumt und schlussendlich die verschiebbaren Eingriffe und elektiven Aufnahmen gestoppt – wobei viele Patientinnen und Patienten vernünftigerweise von selbst absagten. Die Stationen wurden leerer, das Triagezelt aufgebaut, die sonst fußläufigen Menschen mit Beschwerden („Rückenschmerzen seit drei Wochen“, „Bauchschmerzen seit sechs Monaten“, „Schwindel“) kommen nicht mehr. Besucher dürfen gar nicht mehr kommen. Der Eintritt in die Klinik ist ohne Prüfung auf Infektionsgefahr nicht mehr möglich. Regelungen für die Dialyse- und die Bestrahlungspatientinnen mussten gefunden werden. Heute haben wir täglich die Verantwortung, Patienten zu isolieren und via Iso-Zimmer aufzunehmen oder sie normal über die ZNA laufen zu lassen. Da sind die Kriterien des RKI zur Frage „Reise in ein Risikogebiet“ oder „Kontakt mit einem an Covid-19-Erkrankten“ nicht mehr praktikabel. Oft ist eine Infektionskette nicht mehr nachvollziehbar. Uns machen am meisten die Menschen aus den Pflegeinrichtungen Sorge, sie sind betagt, vorerkrankt, kommen als StrokeVerdacht oder Allgemeinzustandsverschlechterung, sind im Rahmen dessen gestürzt und versehrt, die respiratorische Problematik ist kaum oder gar nicht vorhanden. Und doch sind auch sie an Covid-19 erkrankt, oftmals mit schweren und fatalen Verläufen. Hier müssen wir die Entscheidung für Isolation und Abstrich großzügig stellen, und trotzdem haben wir immer das Wort „Ressourcen“ im Nacken.
Dazu kommen die Ängste der Mitarbeiter/-innen, sie sind mitunter Kontaktpersonen zu Covid-19-Erkrankten, haben die Menschen gepflegt, und erst im Verlauf zeigt sich Corona. Sie haben Angst, selbst zu erkranken und gefährlich für andere zu sein. Angst, zu Hause zu bleiben und ihre Kollegen „im Stich“ zu lassen. Und trotz alledem bin ich glücklich über Mitarbeiter, die mit großem Engagement und Mut arbeiten, einspringen und Teil eines funktionierenden Teams sind: Die „freigewordenen“ Kolleginnen und Kollegen, die PJ-ler, Praktikanten, Auszubildenden – alle sind hoch motiviert. Als ob sie jetzt endlich das tun können, worin sie ihre Berufung sehen: kranke Menschen betreuen.
Neben den jungen Ärztinnen und Ärzten möchte ich die die PJ-Studierenden hervorheben: Sie helfen uns täglich, erstellen Dienstpläne, haben einen Bereitschaftsdienst etabliert für Wochenenden und Nächte. Diese Gefühle der Gemeinsamkeit und der Unerschrockenheit machen mich froh und zuversichtlich – wir müssen uns keine Sorge um den ärztlichen Nachwuchs machen. Der ist prima!
Wir Ärztinnen und Ärzte der ZNA sind im Moment entweder in der Klinik oder zu Hause – dazwischen gibt es nichts, und alle sind erschöpft und müde. Organisatorisch sind wir – mit täglichem Nachjustieren – ganz gut aufgestellt, der große Sturm ist bisher ausgeblieben, und wir schaffen es auch kurzfristig, Engpässe zu bewältigen. Im Übrigen geht das normale ZNA-Geschäft mit akuten Fällen ja weiter. So schließe ich mit einer hoffnungsvollen Stimmung aus einem zusammengewachsenen Team und dem Gedanken, dass wir es so, wie es heute läuft, schaffen können durch diese Krise durchzukommen. Bleiben Sie gesund!
Christine Hidas, Fachärztin für Innere Medizin SP Nephrologie, Notfallmedizin, Oberärztin Zentrale Notaufnahme Klinikum Darmstadt sowie Leitung Dialysezugangszentrum, Präsidiumsmitglied der LÄKH