Seit mehreren Jahren ist das Thema Nachhaltigkeit auch in der Finanzbranche angekommen. Entscheidend dazu beigetragen haben dürften die Principles for Responsible Investment (PRI). Schon im Jahr 2005 lud der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, die größten Investoren dieser Welt ein, Prinzipien für nachhaltiges Wirtschaften zu entwickeln. Diese lauten wie folgt:

  1. Wir werden ESG*-Themen in die Analyse- und Entscheidungsprozesse im Investmentbereich einbeziehen.
  2. Wir werden aktive Anteilseigner sein und ESG*-Themen in unserer Investitionspolitik und -praxis berücksichtigen.
  3. Wir werden Unternehmen und Körperschaften, in die wir investieren, zu einer angemessenen Offenlegung in Bezug auf ESG*-Themen anhalten.
  4. Wir werden die Akzeptanz und die Umsetzung der Prinzipien in der Investmentbranche vorantreiben.
  5. Wir werden zusammenarbeiten, um unsere Wirksamkeit bei der Umsetzung der Prinzipien zu steigern.
  6. Wir werden über unsere Aktivitäten und Fortschritte bei der Umsetzung der Prinzipien Bericht erstatten.

Inzwischen haben über 5.000 Investoren und Dienstleister die genannten Prinzipien unterschrieben und sind der PRI-Association beigetreten. Die Unterzeichner haben sich damit auch verpflichtet, einen jährlichen Mitgliedsbeitrag zu zahlen und die Einhaltung der Prinzipien durch umfangreiche Berichtspflichten nachzuweisen. Wir, die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Versorgungswerks, begrüßen es sehr, dass viele unserer Geschäftspartner sich zur Einhaltung der Prinzipien verpflichtet haben und Mitglied der Organisation sind. Für ein Unternehmen von der Größe des Versorgungswerkes macht eine eigene Nachhaltigkeitsabteilung jedoch keinen Sinn; die Kosten (die über die Mitgliedsbeiträge finanziert werden müssen und zu Lasten der Renten gehen) würden nach Ansicht des Vorstandes in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen. Dennoch widmen wir dem Thema „Nachhaltigkeit“ sowohl in der Organisation unseres Hauses, vor allem aber auch im Geschäftsbereich Kapitalanlagen unsere volle Aufmerksamkeit; der mittlerweile gängige Begriff der verantwortungsvollen Nachhaltigkeit trifft unsere Einstellung und unsere Haltung diesem Thema gegenüber am besten.

Den Mitgliedern verpflichtet

In erster Linie ist das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen seinen Mitgliedern gegenüber verpflichtet, und zwar den berufstätigen Anwärtern und Anwärterinnen ebenso wie den bereits im Ruhestand befindlichen Rentnern und Rentnerinnen. Wir sind dafür verantwortlich, dass wir das uns anvertraute Kapital sinnvoll anlegen und nachhaltige Renditen erzielen. In unseren Augen zeugt es von Verantwortung, dass wir in Fragen der Nachhaltigkeit nicht nach einem festen Schema verfahren. Das Versorgungswerk verfügt ganz bewusst über kein allgemein gültiges Nachhaltigkeitskonzept, sondern hat sich für einen pragmatischen und flexiblen Ansatz entschieden.

Klar ist aber auch, dass wir im Fall von zwei vergleichbaren Investments innerhalb einer Anlageklasse demjenigen den Vorzug geben, welches unserer Ansicht nach nachhaltiger ist und mindestens eine gleich hohe Rendite bietet. Die Frage, ob und ggf. wie nachhaltig ein Unternehmen A, B oder C ist, lässt sich häufig nicht auf den ersten Blick beantworten. Vor allem, seit der Begriff Nachhaltigkeit um soziale Kriterien und die Form der Unternehmensführung erweitert wurde – und zunehmend von den ESG-Kriterien* die Rede ist. Die Gemengelage mögen die folgenden Beispiele erläutern:

• Unternehmen 1 produziert nicht nur Windkraftanlagen, sondern auch Rüstungsgüter.

• 25 % des Sortimentes von Unternehmen 2, einer Bio-Supermarktkette, hat eine Reise von jeweils mehr als 500 km hinter sich, bevor es im Regal steht.

• Unternehmen 3, eine Spedition, ist Pionier beim Einsatz von Elektro-Lkw, konnte bislang jedoch erfolgreich verhindern, dass ein Betriebsrat gegründet wurde und zahlt vielfach nur den Mindestlohn.

Ob ein Unternehmen als nachhaltig eingestuft wird, ist nicht zuletzt eine subjektive Entscheidung. Man könnte Unternehmen 1 als nachhaltig ansehen, weil es auch Windkraftanlagen herstellt. Wenn die Produktion von Rüstungsgütern jedoch ein Ausschlusskriterium darstellt, muss die Einschätzung eine andere sein. Unternehmen 2 wird man wohl als nachhaltig bezeichnen können; welche Bewertung es konkret erhält, hängt jedoch auch davon ab, wie die lokale und biologische Produktion jeweils gewichtet wird. Bei Unternehmen 3 ist die Situation noch komplizierter. Hier fängt es schon damit an, ob man bereits den elektrischen Antrieb als nachhaltig einstuft oder ob nicht zusätzlich gefordert werden müsste, dass der verwendete Strom mit regenerativen Energien erzeugt wird. Eine schlechte soziale Bewertung wirft natürlich weitere Fragen auf. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht selten vor, dass ein und dasselbe Unternehmen je nach Nachhaltigkeitsagentur völlig unterschiedlich bewertet wird.

Beispiele aus dem Geschäfts- bereich Kapitalanlagen

Wie gehen wir konkret mit dem Thema Nachhaltigkeit im Versorgungswerk um? In manchen Fällen ist es unumgänglich, auf die Einschätzungen von Dritten zurückzugreifen. Vor allem dann, wenn die Reaktionszeiten kurz sind. Dies gilt etwa für Anleihen, die vom Geschäftsbereich Kapitalanlagen direkt gekauft bzw. gehandelt werden. Deshalb wurde ein Zugang zur Nachhaltigkeitsdatenbank von ISS ESG eingerichtet. Die aktuellen Anlagerichtlinien des Versorgungswerkes sehen vor, dass mindestens 50 % der gekauften Anleihen über ein sog. Prime-Rating verfügen müssen. Aufgrund des allgemeinen Zinsanstieges ist die Auswahl an Nachhaltigkeitspapieren mit einer attraktiven Rendite nun auch wieder ausreichend groß; das war vor zwei Jahre noch anders.

Der zweitwichtigste Anlagetopf des Versorgungswerkes ist ein Masterfonds, in dem die Anlagen in Aktien- und Rentenfonds gebündelt sind. Hier ist das Versorgungswerk in Sachen Nachhaltigkeit schon sehr weit gekommen: die Zielfonds sind zu rund 65 % nachhaltig nach Art. 8 der EU-Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzprodukte. Gleichwohl diskutieren wir mit den Managern regelmäßig über Nachhaltigkeitsaspekte und ihren Umgang damit. Außerdem wurde unser Berater für die Fondsanlagen mit einem monatlichen Nachhaltigkeitsreporting beauftragt.

Im Rahmen des Auswahl- und Bewertungsprozesses von neuen Immobilien werden ebenfalls Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt – zum Beispiel die Erreichbarkeit des Standortes mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Aber auch an die Gebäude selbst werden hohe Anforderungen gestellt und die Vorgaben der Energieeinsparverordnungen werden in vielen Fällen übertroffen. Einige Gebäude verfügen über Zertifikate der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Der Immobilie in der Hanauer Landstraße,

in der das Versorgungswerk seit dem Frühjahr 2023 seinen Sitz hat, wurde etwa ein DGBN-Zertifikat in Gold verliehen. Andere Gebäude sind beispielsweise mit Solarthermieanlagen ausgestattet.

Auch für die Gesundheit unserer Mieter fühlen wir uns verantwortlich und haben deshalb schon vor über zehn Jahren beschlossen, dass auf unseren Wohnimmobilien keine Mobilfunkfasten installiert werden dürfen. Schließlich ist das Versorgungswerk Mitglied des Netzwerkes ECORE (ESG-Circle of Real Estate). Dieses hat sich zur Aufgabe gemacht, einen Scoring-Standard zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Immobilien zu entwickeln.

Die besten Möglichkeiten für die nachhaltige Geldanlage sehen wir derzeit bei den Alternativen Investments. In dieser Anlageklasse kann das Versorgungswerk ganz gezielt in entsprechende Infrastrukturprojekte investieren – etwa in Windfarmen oder Solarparks. Die geschilderten schwierigen Abwägungen bei der Bewertung von Unternehmen entfallen dann. Allein 500 Mio. Euro hat das Versorgungswerk in den vergangenen Jahren für Infrastrukturfonds zugesagt, die ausschließlich Anlagen zur Erzeugung regenerativer Energien errichten und zum Teil auch betreiben. Darüber hinaus finden sich in vielen anderen Fondsbeteiligungen im Bereich Alternative Investments nachhaltige Anlagen.

Dr. med. Susan Trittmacher, Stellv. Vorsitzende des Vorstandes

Johannes Prien, Referent des Vorstandes

beide: Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen

* Die Abkürzung ESG wird im folgenden erläutert:

ESG

E: environment (Umwelt)

S: social (Soziales)

G: governance (Unternehmensführung)