PD Dr. med. habil. Kay Latta

VNR: 2760602023211000006

Circa 1.000 Kinder leben in Deutschland ohne eigene Nierenfunktion. Im Idealfall sind sie mit einem gut funktionierenden Nierentransplantat versorgt [1]. Wegen des bestehenden Organmangels sehen wir pädiatrische Nephrologen seit einigen Jahren, dass der Anteil der an der Dialyse wartenden Kinder und Jugendlichen stetig wächst. Auch im Kindesalter ist die chronische Niereninsuffizienz eine oft still voranschreitende Problematik. Die Auswirkungen sind dennoch gravierend, betreffen die gesamte Entwicklung und Lebensprognose des Kindes. Daher ist ein frühes Erkennen und Behandeln des Problems von herausragender Bedeutung.

Das Spektrum der Ursachen kindlicher Nierenerkrankungen ist weit. Kindernephrologen behandeln häufig seltene Erkrankungen. Inzwischen ist völlig klar, dass nicht nur Nierenerkrankungen im Kindes-und Jugendalter das Risiko, eine chronische Nierenerkrankung im Erwachsenenalter zu entwickeln, erheblich erhöhen, sondern bereits pränatale Faktoren.

Auch genetische Veränderungen können ihre klinischen Probleme durchaus erst im Erwachsenenalter zeigen, so dass kein Patient zu alt ist, um eine Anamnese zu erheben, die bis zur Geburt zurückreicht und Familienvorerkrankungen klärt.

Abkürzungsverzeichnis

ADPKD

autosomal dominante polyzystische Nierenerkrankung

ACE

Angiotensinkonversionsenzym

C3

Faktor in der Komplementdiagnostik

CAKUT

congenital anomalies oft the kidney and the urinary tract – diverse angeborene Fehlbildungen der Nieren und ableitenden Harnwege

CCr

creatinine clearance – Kreatinin-Clearance

eGFR

estimated GFR, die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (ein Maß für die Nierenfunktion)

GPN

Gesellschaft für pädiatrische Nephrologie

HUS

hämolytisch-urämisches Syndrom

IgA

Immunglobulin A, Antikörper

i.v.

intravenös

KfH

Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e. V.

KOF

Körperoberfläche

LUTO

lower urinary tract obstruction – Obstruktion der unteren Harnwege

MAG3

Mercaptoacetyltriglycin – Nierenszintigrafie mit MAG3 ist ein diagnostisches Verfahren in der Nuklearmedizin für die Nierenfunktionsprüfung

MR-Urographie

strahlungsfreie Magnetresonanz-Untersuchung von Niere und Harnleitern im MRT-Gerät

MRT

Magnetresonanztomographie

PH1

Primäre Hyperoxalurie Typ 1

USRDS

United States Renal Data System

ZNS

Zentralnervensystem

Abklärung einer Nierenerkrankung

Eine kindernephrologische Abklärung des Patienten schließt eine Anamnese, inklusive einer nephro-urologischen Familienanamnese, eine klinische Untersuchung mit Erhebung der anthropometrischen Daten und des Blutdrucks ein. Beim Blutdruck ist zu beachten, dass Normwerte mit größen- und geschlechtsadaptierten Perzentilen existieren (siehe hier: https://edoc.rki.de/handle/176904/3254). Ist diese aufgrund der sehr kleinen Patienten nicht möglich, muss ein Profil mit einem oszillometrischen Gerät gegebenenfalls unter stationären Bedingungen erhoben werden.

Bei den laborchemischen Untersuchungen ist stets zu beachten, dass sich viele Normwerte über das Alter ändern. Bezogen auf die Körperoberfläche hat ein Neugeborenes nur etwa ein Drittel der normalen Nierenfunktion eines älteren Kindes oder Erwachsenen. Erst mit einem Jahr ist die Nierenfunktion nachgereift. Wegen niedrigerer Muskelmasse sind aber Serumkreatininwerte bis zur Pubertät erheblich niedriger als bei Erwachsenen.1 Für eine Bestimmung der eGFR (z. B. nach Hoek) ist das Cystatin C der zuverlässigste Einzelparameter. Bei der Urinuntersuchung ist meist der Spontanurin ausreichend. Die Bestimmung von Albumin und α1-Mikroglobulin je Gramm Kreatinin zur Quantifizierung der Proteinurie und zur Differenzierung, ob der Ursprung glomerulär oder tubulär, ist dringend empfohlen. Nur bei großen Proteinurien (> 3 g/l) und der Abklärung der Nephrolithiasis hat der Sammelurin einen regelhaften Stellenwert.

Das wichtigste Bildgebungsverfahren in der Kindernephrologie ist die Sonographie. Aufgrund der Größe der Patienten kann mit hochauflösenden Geräten und hochfrequenten Schallköpfen sowohl die Struktur der Nieren und Harnwege als auch die Durchblutung der Organe zuverlässig dargestellt werden. Die wesentlichen Ergänzungen der bildgebenden Diagnostik sind das radiologische oder sonographische Miktionszyturethrogramm zur Abklärung des vesicoureteralen Refluxes, wobei die Urethra sonographisch nicht abbildbar ist. Zur Objektivierung schwerer obstruktiven Uropathien benötigt man die 99mTc-MAG3-Clearance. Eine MR-Urographie liefert wunderbar übersichtliche Bilder, addiert aber zur Diagnostik des erfahrenen Sonographeurs oft wenig zusätzliche Erkenntnisse. Gerade in den kritischen Bereichen von stenotischen Gefäßen oder Ureteren sowie von fehlmündenden Ureteren gelingt die absolut sichere präzise Darstellung kaum besser als mit der Hochleistungssonographie. Für unklare oder schwere glomeruläre Erkrankungen und Nierenfunktionseinschränkungen bleibt die Nierenbiopsie, beurteilt vom erfahrenen Nephropathologen, oft unverzichtbar. Die Invasivität der Maßnahme mit Narkose und Blutungsrisiko beschränkt ihre Anwendung. Der Stellenwert für andere diagnostische Verfahren ist obsolet (i.v. Pyelographie) oder sehr beschränkt (Zystoskopie).

1Das Serumkreatinin steigt mit dem Alter, aber die GFR-Messung korreliert mit der Körperlänge. Daher kann man mit der vereinfachten Schwartz-Formel rechnen. Schwartz-Formel: CCr = Länge (cm) * 0,413 / Serumkreatinin (mg/dl)

Chronische Nierenkrankheit

Die Ursachen einer chronischen Niereninsuffizienz sind im Kindesalter überwiegend angeborener Natur. Fehlbildungen der Nieren und Harnwege wie Hypodysplasien und obstruktive Uropathien (siehe unten) stehen insbesondere bei den ganz kleinen Kindern im Vordergrund [2]. Allerdings können mäßige, primäre Dysplasien auch erst im Erwachsenenalter Anlass zum vollständigen Verlust der Nierenfunktion sein. In der Fachliteratur firmieren diese Erkrankungen unter dem Akronym CAKUT – congenital anomalies oft the kidney and urinary tract.

Eine unerkannte Nierenerkrankung beschleunigt den Verfall der Funktion. Unterhalb einer GFR von 60 ml/min/1,73 m2 KOF ist die Entwicklung eines dialysepflichtigen Nierenversagens nur eine Frage der Zeit. Je jünger der Patient ist, desto intensiver müssen daher die Bemühungen sein, die bestehende Funktion zu erhalten und zu stabilisieren. Die Behandlung eines Bluthochdrucks und die Nephroprotektion bei relevanter Albuminurie mit einem ACE-Hemmer sind notwendige Maßnahmen neben dem Ausgleich anderer Störungen durch die mangelnde Nierenfunktion, z. B. sekundärer Hyperparathyreoidismus, Anämie, Vitaminmangel. Ein wesentliches pädiatrisches Problem in der Niereninsuffizienz ist die Störung des Längenwachstums, so dass dies der peniblen Beachtung und ggf. Therapie bedarf. Eine eiweißbeschränkte Diät ist im Kindesalter daher nicht statthaft [3].

Dialyse

Die dauerhafte Versorgung eines Kindes mit der Dialyse ist ab Geburt möglich [4, 5]. Limitierend ist das Geburtsgewicht. Unterhalb eines Gewichts von 2.500 g Körpergewicht sind die technischen Probleme so herausragend, dass man von einem mehr experimentellen Vorgehen sprechen muss. Bei einem reifgeborenen Kind ist die Peritonealdialyse definitiv auch als Dauerversorgung möglich, eine Transplantation ist ab einem Gewicht von 10 kg Körpergewicht machbar.

Die speziellen Herausforderungen bei Säuglingen und Kleinkindern an der Dialyse liegen primär in der Relation des Flüssigkeitsumsatzes zum Körpergewicht, dem notwendigen raschen Wachstum des Körpers bei einer gleichzeitig bestehenden Inappetenz und Energieverwertungsstörung. Das nierenkranke Kind isst schlechter als ein gesundes, hat aber einen circa 30 % höheren Energiebedarf. Dazu steht man vor den gleichen Herausforderungen wie bei erwachsenen Patienten, weil Bluthochdruck, sekundärer Hyperparathyreoidismus und metabolische Azidose bestehen. Ziel der Behandlung ist es, eine so normale Entwicklung wie nur irgend möglich zu erreichen. Die Kinder sollen an allen normalen sozialen Aktivitäten teilnehmen können.

Ein hoher Anteil der Säuglinge und Kleinkinder mit Dialysebedarf hat weitere Organfehlbildungen. Liegen Fehlbildungen des ZNS, der Lunge, Herzfehler oder abdominelle Fehlbildungen vor, so kompliziert dies die Situation und verschlechtert die Prognose quoad vitam [5, 6]. Neben einer Anurie stellen diese herausragende Risikofaktoren für das Überleben dar. So liegt die Mortalität bis zum Erreichen des Schulalters für Säuglinge an der Dialyse bei bis zu 30 %. Dieses kontrastiert deutlich mit den Ergebnissen bei älteren Kindern. Dennoch bleibt bei allen die Lebenserwartung eingeschränkt.

Die Transplantation sollte stets das Ziel der Nierenersatztherapie sein. Gemäß der Daten des United States Renal Data Systems (USRDS) liegt die Lebenserwartung von Kindern und Jugendlichen im Alter von 0–14 Jahren an der Dialyse bei ca. 23 Jahren. Wenn man sie transplantiert, liegt sie aber bei 60 Jahren (allg. Bevölkerung in den USA 70 Jahre) [7]. Nicht nur die Lebensqualität und die einfachere Handhabung der Behandlung nach der Transplantation sind im Vergleich zur Dialyse bestechend, sondern besonders der Zugewinn an Lebenszeit. Umso dramatischer ist der Organmangel. Die Probleme und Akzeptanz der Lebendspende für die Kinder, die wir betreuen, führt dazu, dass die Kinder trotz eines Bonus auf der Eurotransplant-Warteliste häufig über fünf Jahre auf ein erstes Transplantat warten müssen.

Im Clementine Kinderhospital betreuen wir derzeitig fünf Kinder mit Hämodialyse, von denen das kleinste 12 Kilogramm wiegt. 17 Kinder sind mit Peritonealdialyse (vier unter drei Jahren) und 25 Kinder und Jugendliche mit einem Nierentransplantat versorgt. Alle diese Patienten benötigen eine hochfrequente ambulante Betreuung, die im KfH-Nierenzentrum am Clementine Kinderhospital geleistet wird. Das einzige Transplantationszentrum (für Kindernieren) findet sich in Hessen in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Universität Marburg. Beide Kliniken bieten neben dem KfH-Kindernierenzentrum allgemeine kindernephrologische Sprechstunden und stellen damit praktisch die einzigen Anlaufstellen für nierenkranke Kinder und Jugendliche in Hessen dar.

Fehlbildungen der Nieren und Harnwege

Nierenhypodysplasien sind die häufigste Einzelursache der chronischen Nierenkrankheit bei Kindern. Malformationen des Urogenitaltraktes kommen familiär gehäuft mit einem großen Spektrum an beteiligten Genen vor.

Die Diagnose des oft oligosymptomatischen Problems ergibt sich neben den erhöhten Retentionsparametern am besten sonographisch. Die Nieren sind im Volumen zu klein und strukturell meist bei detaillierter Betrachtung auffällig. Begleitende Hydronephrosen sind zwar häufig, aber meist nicht der Kern des Problems. Bei der Frage der operativen Korrektur von Fehlbildungen sollte immer das Prinzip des „Primum non nocere“ gelten. Die meisten Hydronephrosen bedürfen keiner Korrektur [8, 9]. Bei Doppelnieren sind Heminephrektomien auf Grund der entstehenden Wundfläche an der gesunden Anlage und einer konsekutiven Vernarbung möglichst zu vermeiden. Aus nephrologischer Sicht gilt: Jedes Nephron zählt.

Bei extremen Defiziten besteht schon ab Geburt eine Niereninsuffizienz und eine Gedeihstörung. Manchmal fällt die Nierenkrankheit durch die mangelnde Längenentwicklung später auf. Eine ursächliche Therapie gibt es nicht, aber auch hier ist die Behandlung von Sekundärproblemen für die Entwicklung des Kindes essenziell und verzögert den Beginn der Dialyse.

LUTO

Das englische Akronym LUTO steht für lower urinary tract obstruction. Die häufigste Diagnose in diesem Spektrum sind die posterioren Urethralklappen. Bereits mit dieser Benennung beginnt die Problematik, da es sich in aller Regel nicht nur um ein Segel in der Urethra handelt, mit dessen endoskopischer Resektion das Problem gelöst wird. Sondern es besteht vielmehr eine komplexe Blasenentleerungsstörung kombiniert mit einer Abflussstörung des oberen Harntraktes und einer meist ausgeprägten Nierendysplasie. Aufgrund der pränatalen Interventionen, die zunehmend häufiger durchgeführt werden, überleben Neugeborene mit schwersten Fehlbildungen. Daher ist dies die häufigste Grunderkrankung, aufgrund derer im ersten Lebensjahr die Dialyse eingeleitet werden muss. Praktisch kein Kind, das pränatal mit einem vesico-amnialen Shunt versorgt wurde, kann mit eigener Nierenfunktion länger als zwei bis drei Jahre leben.

Zystennieren

Im Erwachsenenalter ist die autosomal dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) die typische Ursache einer zystischen Nierenerkrankung. Im Kindesalter können wir zwar diese Diagnose ab Geburt in der Regel stellen, jedoch ist der Verlauf bis hin in das junge Erwachsenenalter meist unproblematisch. Eine Überwachung ist trotzdem erforderlich, weil bis zur Adoleszenz circa 10 % aller Jugendlichen mit einer ADPKD eine therapiepflichtige Hypertonie entwickeln [10]. Zahlreiche andere Formen zystischer Nierenerkrankungen beschäftigen allerdings die pädiatrischen Nephrologen. Neben der klassischen autosomal rezessiven Form mit ihrer oft schweren Leberbeteiligung und frühen Niereninsuffizienz sowie dem maximalen Hypertonus sind dies zystische Nierenerkrankungen wie die Nephronophthise, HNF1b-Mutationen und eine Vielzahl noch seltenerer Erkrankungen [11]. Insgesamt sind weit über hundert Gene bekannt, die zystische Nierenerkrankungen auslösen. Die genetische Diagnostik ist vor allem deswegen bedeutsam, weil sich die Prognose und potenzielle Beteiligung weiterer Organe erst aus dieser Diagnose ergibt.

Urolithiasis

Im Vergleich zum Erwachsenenalter ist das Steinleiden eher selten. Ein hoher Prozentsatz der Kinder und Jugendlichen hat eine Stoffwechselstörung. Die häufigste Ursache eines rezidivierenden Steinleidens im Kindesalter ist die Cystinurie, die am schwersten verlaufende die primäre Hyperoxalurie. Beiden Erkrankungen ist zu eigen, dass sie im Laufe des Lebens in einem hohen Prozentsatz zu einer chronischen Nierenkrankheit führen. Bei der tubulären Störung Cystinurie sind die Ursache hierfür die rezidivierenden Stauungsereignisse und konsekutiven Interventionen, obwohl es keine intrarenalen Kristallablagerungen/Nephokalzinose gibt [12].

Bei der primären Hyperoxalurie Typ 1 (PH1) bewirken die Stauungen und die in oligurischen Phasen auftretende Nephrokalzinose eine Schädigung der Nieren bis hin zur Dialysepflichtigkeit. In einer Oligurie – bei hochfieberhaftem Infekt, Dehydrationen oder ärztlich verordneter Nüchternheit – wird dann der Körper mit der Oxalsäure regelrecht intoxikiert, so dass es zu massiven Calcium-Oxalat-Ablagerungen kommt [13]. Erfreulicherweise gibt es mit Lumasiran mittels RNA-Interferenz eine Therapie, die die Oxalsäureproduktion reduziert [14]. Unter der regelmäßigen Applikation fällt bei fast allen Patienten die Oxalsäureausscheidung um 30 bis 50 %, so dass konservative Maßnahmen mit hoher Trinkmenge und der Gabe von Citrat die Nierenfunktion erhalten. Im Falle des Verlustes der Nierenfunktion hilft nur die Korrektur des Stoffwechseldefektes mittels Lebertransplantation und simultaner Nierentransplantation.

Weitere metabolische Störungen wie Hyperkalziurie, Hyperurikosurie und Hypocitraturie bedürfen anderer therapeutischer Ansätze. Häufig ist die Analyse auch kleinster Konkremente (in einem geeigneten Labor) wegweisend für die Metaphylaxe.

Nephrotisches Syndrom

Das idiopathische nephrotische Syndrom kommt in allen Lebensaltern vor, ist aber im Kindesalter in vielen Fällen steroidsensibel. Dies bedeutet, dass mit einer Prednison-Therapie in der Dosis von 60 mg/m2 KOF innerhalb von vier Wochen eine Normalisierung der Eiweißausscheidung (Urinremission) erzeugt wird. Viele dieser Patienten haben zwar häufig Rezidive und damit aufgrund der hohen Steroidexposition einen schwierigen Verlauf, werden aber nicht niereninsuffizient.

Während der Patient nephrotisch ist, besteht ein erheblich erhöhtes Risiko für thrombotische Ereignisse aller Art, ein akutes Nierenversagen und schwere bakterielle Infektionen (Peritonitis, Sepsis). Die Kunst liegt darin, die gefährlichen Rezidive mit möglichst wenig Immunsuppression zu vermeiden und die Steroidtoxizität zu minimieren [15]. In den ersten zehn Lebensjahren ist dieses die häufigste Form des nephrotischen Syndroms, während die komplizierteren steroidresistenten Formen ab der zweiten Lebensdekade eine höhere Prävalenz haben. Mindestens 30 % dieser Formen haben eine genetische Ursache. Es sind über 40 Gene bekannt, bei denen Mutationen Anlass zu Störungen der glomerulären Basalmembran oder ihres Aufhängungsapparates geben und ein nephrotisches Syndrom auslösen. Die Kenntnis dieser Ursachen ist natürlich von herausragender Bedeutung, weil bei genetisch bedingten Nephrosen typischerweise eine immunsuppressive Therapie nicht wirkt, sondern nur den Patienten gefährdet.

Glomerulonephritis

Glomerulonephritiden treten im Kindes- und Jugendalter deutlich seltener als bei Erwachsenen auf. Bis ins Grundschulalter kommen typischerweise zwei Formen vor. Zum einen ist es die postinfektiöse Glomerulonephritis im Zusammenhang mit einer Streptokokken Infektion. Eine klare Diagnose ergibt sich jenseits der Anamnese und dem Nachweis der Streptokokken A-Infektion durch die Dokumentation der C3-Komplementerniedrigung in der akuten Phase. Insbesondere die mögliche Hypertonie bedarf hier der präzisen Beachtung.

Ein großer Teil der Kinder mit Purpura Schönlein-Henoch entwickeln eine Nierenbeteiligung. Solange diese mild ist und nur aus einer Mikrohämaturie besteht, ergibt sich kein Handlungsbedarf. Kommt es jedoch zu einer Glomerulonephritis mit den typischen Problemen Hypertonie, Nierenfunktionsstörung und/oder großer Proteinurie, so stellt sich die Frage der weitergehenden Diagnostik (Nierenbiopsie) und natürlich der geeigneten Therapie. Genau wie im Erwachsenenalter ist ab dem Jugendalter die IgA-Nephritis die häufigste Form der Glomerulonephritis. Fälschlicherweise wird der IgA-Nephritis im Kindesalter häufig eine etwas bessere Prognose als im Erwachsenenalter zugeschrieben. Dieses lässt sich allerdings an Studien nicht verifizieren – die Erkrankung führt im jungen Erwachsenenalter doch in einem deutlichen Prozentsatz zu Nierenfunktionsstörungen. Alle anderen Formen der Glomerulonephritiden, inklusive der Lupusnephritis, sind selten und werden typischerweise durch die Nierenbiopsie diagnostiziert und so einer gezielten Therapie zugeführt.

Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)

Seit mehr als einem halben Jahrhundert kennen wir das HUS. Seit rund 30 Jahren wissen wir, dass enterohämorrhagische E. coli über das Shiga-Toxin das klassische, mit hämorrhagischer Diarrhoe assoziierte HUS auslösen und zu einem akuten Nierenversagen Anlass geben können. Unverändert ist diese Form des HUS die häufigste Ursache des akuten dialysepflichtigen Nierenversagens im Kindesalter außerhalb der Intensivmedizin und Behandlungen, die zu intensivmedizinischen Interventionen Anlass geben [16].

Schon lange ist bekannt, dass ein Teil der Patienten ein sogenanntes komplementassoziiertes HUS ohne Diarrhoe entwickelt. Pathophysiologisch ist inzwischen sehr detailliert geklärt, dass hier genetische Defekte der Komplementkaskade zugrunde liegen und deren unkontrollierte Aktivierung das HUS triggert. Mit den Komplementinhibitoren Eculizumab und Ravulizumab gibt es nun die Möglichkeit, diesen Patienten ursächlich zu helfen und die rezidivierenden HUS-Schübe zu unterbinden [17]. Damit ist es häufig möglich, bei diesen Patienten die Dialysepflichtigkeit zu verhindern. Der Preis dafür ist die notwendige regelmäßige Gabe der meist gut verträglichen Antikörper.

Familiäre Mikrohämaturie/ Alport Syndrom

Das klassische Alport-Syndrom wird X-chromosomal vererbt, und so sind 85 % der schwer Betroffenen männlichen Geschlechts. Die autosomal-rezessive Form ist deutlich seltener. Mit der Early-Protect-Alport-Studie hat die Gesellschaft für pädiatrische Nephrologie (GPN) unter der Studienleitung von Prof. Dr. med. Oliver Gross gezeigt, dass eine ACE-Hemmer-Therapie (Ramipril 6 mg/m2 KOF) die Progression des Alport-Syndroms signifikant verzögert und gleichzeitig auch im jungen Kindesalter sicher ist [18]. Leider handelt es sich hier um eine Off-Label-Therapie, da die EMA unverändert zurückhaltend ist, eine Zulassung zu befürworten. Dies ist ein klares Beispiel für die Probleme der Fortentwicklung von medikamentösen Therapien im Kindesalter.

Vielfach wird verkannt, dass 30 % der heterozygoten X-chromosomal betroffenen Frauen [19] und ein zweistelliger Prozentsatz der Heterozygoten mit einer autosomalen Mutation im COL 4A3- und COL 4A4-Gen im Laufe ihres Lebens zunächst eine Proteinurie und dann eine chronische Niereninsuffizienz bis hin zur Dialysepflichtigkeit entwickeln. Insofern hat sich über die Erkenntnis an großen Patientengruppen inzwischen bewahrheitet, dass es keine einfache, gutartige familiäre Mikrohämaturie gibt. Begriffe wie dieser und der des Syndroms der dünnen Basalmembranen sollten nicht mehr verwendet werden. Alles muss unter dem Begriff des heterozygoten Alport-Syndroms bei entsprechenden Mutationen zusammengefasst werden. Denn alle diese Betroffenen benötigen lebenslang eine jährliche Kontrolle von Albumin und Kreatinin im Urin und bei Auftreten einer kontinuierlichen Albuminurie von über 30 mg/g Kreatinin eine ACE Hemmer-Therapie. Diese früh begonnene Nephroprotektion sollte bei den meisten betroffenen Menschen zu einem lebenslangen Erhalt der Nierenfunktion führen [20].

Tubulopathien

Tubulopathien kommen sowohl als punktuelle Störungen der Tubulusfunktion als auch als globale Störungen im Sinne eines Toni-Debré-Fanconi-Syndroms vor. Primäre Fanconi-Syndrome sind selten, sekundäre Formen wie bei der infantilen nephropathischen Cystinose deutlich häufiger. Durch die seit Jahrzehnten verwendeten Cystin-depletierenden Therapien sehen wir die schweren Komplikationen der Cystinose nicht mehr oder erheblich später [21]. Leider zeigt sich, dass die Korrektur des Stoffwechseldefektes oft nur unvollständig gelingt und ein Fortschreiten der renalen Schädigung bis hin zur Dialysepflichtigkeit häufig nicht lebenslang verhindert werden kann. Praktisch alle Tubulopathien sind sehr selten. Eine Auswahl der typischerweise in einer größeren Kindernephrologie vorkommenden Erkrankungen findet sich in Tabelle 2.

Tabelle 2: Auswahl typischer tubulärer Erkrankungen

Erkrankung

Zahl der Typen

Ort der Tubulusstörung

Vererbungs- modus

Fanconi Syndrom

4

proximaler Tubulus

AR, AD

Fanconi Bickel Syndrom

1

proximaler Tubulus

AR

Cystinurie

2

proximaler Tubulus

AD

hypophosphatämische Rachitis

2

proximaler Tubulus

AR,X-D

Dent’s disease/Lowe Syndrom

2

proximaler Tubulus

X-R

Bartter Syndrom

6

Aufsteigende Henle-Schleife

AR, X-D, digen

Pseudohypoal- dosteronismus

8

Sammelrohr od. distales Tubuluskonvolut

AR, AD

Gitelman Syndrom

1

distales Tubuluskonvolut

AR

HNF1-b

1

distales Tubuluskonvolut

AD

Distal Renal tubuläre Azidose

5

Sammelrohr

AR, AD

Renaler Diabetes insipidus

2

Sammelrohr

AR, AD, X-R

Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion

2

Sammelrohr

AR, AD

Apparent mineralocorticoid excess

1

Sammelrohr

AR

Medikamententoxisch (Chemotherapie)

Meist proximaler Tubulus

Legende: AR = autosomal rezessiv; AD = autosomal dominant; X-D = X-gebunden dominant; X-R = X-gebunden rezessiv; digen = Mutationen in zwei krankheitsrelevanten Genen

Die Bedeutung kindlicher Nierenkrankheiten für das Leben

Spätestens mit den Arbeiten von Ronit Calderon-Margalit et al. wurde klar, wie bedeutsam kindliche Nierenerkrankungen für das weitere Leben sind [22–26]. Es zeigt sich, dass quasi jegliche Nierenerkrankung im Kindesalter das Risiko, bis zum 50. Lebensjahr dialysepflichtig zu werden, um das Drei- bis Zehnfache erhöht. Dies gilt auch dann, wenn bei Vollendung des 18. Lebensjahres weder eine Hypertonie noch eine Nierenfunktionsstörung vorliegen. Ferner ist auch sehr eindeutig, dass ehemalige Frühgeborene bereits im Kindesalter klassische Zeichen einer Hyperfiltration zeigen und gleichzeitig eine verminderte Zahl an Nephronen aufweisen. Dass dies insbesondere für Extremfrühgeborene gilt, ist nicht verwunderlich, da die Glomerulogenese in der 36. Schwangerschaftswoche oder spätestens zwölf Tage nach der Geburt bedingt durch den ansteigenden Sauerstoffpartialdruck endet. Besonders ausgeprägt ist diese Problematik bei small for gestational age Frühgeborenen. Hier ist ferner bekannt, dass die Hypertonierate bereits in jungen Jahren deutlich erhöht ist [27, 28]. Kindliche Episoden des akuten Nierenversagens, heutzutage mit dem englischen Begriff acute kidney injury belegt, hinterlassen dauerhafte Schäden an den Nieren. Dabei werden diese Episoden zwar häufig auf neonatologischen und pädiatrischen Intensivstationen beachtet, finden aber meist keinen Eingang in die Diagnosen bzw. werden als „passagerer Kreatininanstieg“ harmlos verbrämt. Vernarbungsprozesse schreiten auch nach dem Einwirken einer Noxe fort. Auch eine Adipositas oder eine unbehandelte Hypertonie können eine fokal und segmental sklerosierende Glomerulopathie auslösen.

Viele der vorgenannten Erkrankungen führen somit zu einer Proteinurie. Nur in Ausnahmefällen wie bei einer Cubilin-Genmutation [29] oder einer orthostatischen Proteinurie ist diese nach heutigem Wissen harmlos. Im Allgemeinen bewirkt die tubuläre Resorption des Albumins eine interstitielle Vernarbung mit Tubulusatrophie und konsekutivem Untergang von Nephronen. Dieser Verlust bedingt eine Hyperfiltration in den übrigen Nephronen und die fortschreitende Minderung der Nierenfunktion. Die Schwere und Summe dieser Ereignisse bestimmt die Prognose. Unter den unerkannten Ursachen der chronischen Niereninsuffizienz im Erwachsenenalter finden sich somit vielfach Ursachen, die im Kindesalter liegen oder schleichend progressive genetische Erkrankungen darstellen.

All dies unterstreicht nur, dass neben einer gesunden Lebensführung eine angemessene Diagnostik und Therapie von Nierenerkrankungen bei frühen Warnzeichen bedeutsam ist. Kinder mit dem Verdacht auf eine Nierenerkrankung sollten in einem spezialisierten Zentrum evaluiert werden.

PD Dr. med. habil. Kay Latta, Ärztlicher Direktor des Bereichs Kinder- und Jugendmedizin der Bürgerhospital und Clementine Kinderhospital Frankfurt am Main, E-Mail: k.latta@ckhf.de

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Multiple-Choice-Fragen

Die Multiple-Choice-Fragen zu dem Artikel „Pädiatrische Nephrologie“ von PD Dr. med. habil. Kay Latta finden Sie im Portal (https://portal.laekh.de) sowie am Ende dieser Seite unter „Artikel herunterladen“ in der PDF-Version dieses Artikels. Die Teilnahme zur Erlangung von Fortbildungspunkten ist ausschließlich online über das Portal vom 25. Juni 2023 bis 24. Dezember 2023 möglich. Die Fortbildung ist mit zwei Punkten zertifiziert. Mit Absenden des Fragebogens bestätigen Sie, dass Sie dieses CME-Modul nicht bereits an anderer Stelle absolviert haben.

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