Prof. Dr. med. Oliver Jung

VNR: 2760602023209620005

Einleitung

Die Prävalenz des Diabetes mellitus nimmt weltweit rasch zu – insbesondere aufgrund von sich ändernden Lebens- und Ernährungsgewohnheiten und der hieraus resultierenden Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM). Nach Schätzungen der International Diabetes Federation gab es im Jahr 2021 weltweit 537 Millionen Diabetiker. Aktuell wird prognostiziert, dass zum Jahr 2045 bereits 784 Millionen Menschen weltweit betroffen sind [1]. Diese dramatische Entwicklung hat eine Zunahme von mikro- und makrovaskulären Langzeit-Folgeerkrankungen wie koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit u. a. zur Folge. Eine der wichtigsten Spätfolgen des Diabetes ist die Entwicklung einer chronischen Nierenerkrankung (CKD) im Sinne einer diabetischen Nephropathie. Diese mikrovaskuläre Komplikation entwickelt sich bei etwa 30 % der Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1 (T1DM) und 40 % der Patienten mit T2DM [2]. Die auftretenden Veränderungen der Nierenstruktur, ihr Schweregrad und damit auch das Voranschreiten der Nierenfunktionsverschlechterung hängen von zahlreichen beeinflussbaren und nicht-beeinflussbaren Faktoren ab [3, 4]. Trotz besserer Frühdiagnose und frühzeitiger Therapie steigt mit der Zunahme der Diabetes-Neuerkrankungen die Zahl der Menschen mit Diabetes-assoziierten Nierenerkrankungen weiter an, so ist der Diabetes die häufigste Ursache für eine Nierenersatztherapie weltweit [5, 6, 7].

Die Entwicklung einer CKD führt darüber hinaus zu einer weiteren Exazerbation des bei Diabetikern ohnehin deutlich erhöhten kardiovaskulären (CV) Risikos [2, 8]. Der Diabetes ist somit eine Multisystemerkrankung. Das Patientenmanagement hat sich daher zunehmend zu einem multimodalen, interdisziplinären Behandlungskonzept entwickelt, welches sich auf die Minimierung renaler und CV-Organschäden/-Ereignisse ausrichtet und präventive Therapieaspekte stärker berücksichtigt [9–11]. In jüngerer Zeit hat sich, insbesondere durch die Einführung neuer Therapieoptionen, viel getan. So wurden die internationalen Leitlinien für die Behandlung von Diabetikern mit Niereninsuffizienz aufgrund neuer Evidenzlage alleine in den vergangenen drei Jahren zweimal neu überarbeitet [10, 12].

Im Folgenden soll der aktuelle Stand hinsichtlich Diagnostik und Therapie für diese Patienten erörtert werden.

Abkürzungsverzeichnis

ACE

Angiotensin konvertierendes Enzym

ARB

Angiotensin-II-Rezeptor-1-Blocker

ASCVD

atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen (atherosclerotic cardiovascular disease)

BZ

Blutzucker

CKD

chronische Nierenerkrankung

CKD-EPI- Formel

Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration – die CKD-EPI-Formel ist eine Formel zur Errechnung der eGFR

CV

kardiovaskulär

DDG

Deutsche Diabetes Gesellschaft

DM

Diabetes mellitus

DPP-4- Inhibitoren

Dipeptidylpeptidase-4-Inhibitoren

GFR

glomeruläre Filtrationsrate

eGRF

geschätzte glomeruläre Filtrationsrate

ESH

European Society of Hypertension

GLP-1-RA

Glucagon-like peptide 1-Rezeptoragonisten

HbA1c

adultes Hämoglobin – Wert zur Bestimmung des Blutzuckers

KDIGO- Initiative

Kidney Disease: Improving, Global Outcomes-Initiative

MR

Mineralokortikoidrezeptoren

MRA

Mineralokortikoidrezeptor- Antagonisten

nsMRA

nicht steroidale Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten

NVL

Nationale Versorgungs-Leitlinie

RAAS

Renin-Angiotensin-Aldosteron-System

RR

Blutdruck

SGLT-2

Sodium-Glucose-Transporter 2-Hemmer

T1DM/ T2DM

Diabetes mellitus Typ 1/Typ 2

UACR

Albumin-Kreatinin- Ratio im Urin

DM-assoziierte chronische Nierenerkrankungen

Die Pathogenese einer DM-assoziierten chronischen Nierenerkrankung ist multifaktoriell und betrifft verschiedenste strukturelle, physiologische, hämodynamische und inflammatorische Prozesse. Diese führen in der Summe zu in einer progredienten Verschlechterung der Nierenfunktion, wobei sich die strukturellen Veränderungen bei Patienten mit T1DM und T2DM prinzipiell ähneln [13].

Das klassische Bild der diabetischen Nephropathie (Kimmelstiel-Wilson-Syndrom) wurde primär bei Patienten mit T1DM ohne weitere relevante Begleiterkrankungen beschrieben. Der typische Verlauf erfolgt über mehrere Stadien: Nach einer initialen Hyperfiltration der Nieren entwickelt sich eine Mikroalbuminurie, welche dann in eine Makroalbuminurie übergeht, worunter es schließlich zu einer progredienten Einschränkung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) kommt [14]. Dieser initial als phasenhafter Verlauf beschriebene Prozess ist allerdings nach heutigem Wissen eher als Kontinuum aufzufassen. So kann die GFR bereits im Vorfeld einer manifesten, proteinurischen Nephropathie sinken.

Dies trifft in besonderem Maße auf Patienten mit T2DM zu. Hier können die morphologischen Veränderungen und der klinische Verlauf deutlich heterogener ausfallen. Ursache hierfür sind prädisponierende Begleiterkrankungen, zum Beispiel Hypertonus und Arteriosklerose, welche den Erkrankungsverlauf auch schon bei kurzer Diabetesanamnese modulieren können [2]. So findet sich beispielsweise bei Frauen mit metabolischem Syndrom häufig eine diabetische Nephropathie ohne Proteinurie [15].

Daher lässt sich – insbesondere bei T2DM – allein auf Grundlage rein klinischer Parameter oft nicht eindeutig klären, ob es sich um eine „diabetische Nephropathie“ infolge des Diabetes oder eine „nicht diabetische“ Nierenerkrankung als Folge von Komorbiditäten handelt. In der Praxis wird daher bei bekanntem Diabetes und charakteristischem klinischem Verlauf mit arteriellen Hypertonus und anderen mikrovaskulären Komplikationen meist von einer Diabetes-assoziierten Nierenerkrankung ausgegangen und auf eine Nierenbiopsie zur Diagnosesicherung mangels begrenzter therapeutischer Konsequenzen verzichtet (siehe unten).

Diagnostik, Screening

Bei Diabetikern sollte mindestens einmal jährlich die GFR und die Albuminurie bestimmt werden, um eine CKD frühzeitigen zu erkennen: bei T2DM ab Diagnosestellung, bei T1DM spätestens ab dem 5. Jahr nach Diagnosestellung [11, 12, 16].

Hierbei wird:

  1. Die GFR als „geschätzte“ glomeruläre Filtrationsrate, sogenannte eGFR bestimmt (eGFR = estimated GFR). Dies erfolgt mittels einer Schätzformel, deren Formelalgorithmus (vorzugsweise die CKD-EPI-Formel) das gemessene Serumkreatinin sowie demografische Daten einbezieht Es ist hierbei zu beachten, dass die Aussagefähigkeit der eGFR bei erheblichem Über- oder Untergewicht, hohem Lebensalter oder rascher Veränderung des Serumkreatinins limitiert sein kann [10, 11].
  2. Die Albuminurie mittels Albumin-Kreatinin-Ratio im Urin (UACR) bestimmt, vorzugsweise aus dem Mittelstrahlurin des Morgenurins. Vorteile der UACR ist, dass sie eine von der Urinkonzentration unabhängige Bestimmung der Albuminausscheidung im Urin ermöglicht. Bei unklarem oder pathologischem Ergebnis ist eine wiederholte Kontrolle in dreimonatigen Abständen indiz

Gemäß internationaler Leitlinien ist die CKD definiert als

  1. Reduktion der eGFR auf < 60 ml/min/1,73 m2
  2. und/oder eine persistierende Proteinurie
  3. und/oder Hinweise andere strukturelle Auffälligkeiten der Niere, wie persistierende Hämaturie oder pathologische Veränderungen in der Bildgebung oder Histologie

welche für ≥ drei Monate besteht [17]. Die Stadieneinteilung der CKD erfolgt aktuell über die die Klassifikation der KDIGO-Initiative (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) [18].

Die Einteilung basiert auf zwei Parametern:

  1. der eGFR (das sogenannte „G”-Stadium) und
  2. der Albuminurie, vorzugsweise als UACR (das sogenannte „A”-Stadium) (Abb. 1).

Abb. 1: Stadieneinteilung der chronischen Nierenerkrankung

eGFR

(ml/min/1,73 m2)

Persistierende Albuminurie (UACR)

A1

(< 30 mg/g)

A2

(30–300 mg/g)

A3

(> 300 mg/g)

G1 (≥ 90)

keine CKD

G2 A1

G1 A3

G2 (60–89)

Keine CKD

G2 A2

G2 A3

G3a (45–59)

G3a A1

G3a A2

G3a A3

G3b (30–44)

G3b A1

G3b A2

G3b A3

G4 (15–29)

G4 A1

G4 A2

G4 A3

G5 (> 15)

G5 A1

G5 A2

G5 A3

 

Grün: niedriges Risiko

Gelb: mittleres Risiko

Orange: hohes Risiko

Rot: sehr hohes Risiko

Abkürzungen: eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate | UACR: Albumin-Kreatinin-Ratio im Urin | CKD: chronische Nierenerkrankung

Sowohl das Ausmaß der eGFR-Einschränkung (G-Stadium) als auch das Ausmaß der Albuminurie (A-Stadium) bestimmen das weitere Progressionsrisiko maßgeblich. Dies betrifft nicht nur das Progressionsrisiko der Nierenerkrankung (bis hin zur Notwendigkeit einer Nierenersatztherapie), sondern auch das kardiovaskuläre Risiko [18,19].

Ab einer Niereninsuffizienz Stadium G3a wird generell eine Vorstellung beim Nephrologen empfohlen.

Für diabetische Patienten, die älter als 75 Jahre sind, sollte die Vorstellung beim Nephrologen spätestens aber ab dem Stadium G3b erfolgen

Jede höhergradige Nierenfunktionseinschränkung sowie Hinweise auf eine nicht diabetische Nierenerkrankung sind Anlass für eine unverzügliche Vorstellung beim Nephrologen [22]. Grundsätzlich ist in der klinischen Beurteilung der Nierenfunktion bei Diabetikern zu beachten: Nicht jede Nierenfunktionsverschlechterung muss Diabetes-bedingt sein. Klinische Hinweise, welche die Verdachtsdiagnose einer Niereninsuffizienz im Rahmen des Diabetes in Frage stellen, sind

  • eine rasche Verschlechterung der Nierenfunktion/akutes Nierenversagen,
  • unklare Hämaturie oder aktives Urinsediment,
  • plötzlich auftretende oder rasch progrediente Proteinurie (insbesondere in Abwesenheit einer diabetischen Retinopathie oder bei plötzlich auftretendem Nephrotischem Syndrom),
  • Diabetesdauer ≤ 5 Jahren bei Patienten mit T1DM:
  • Verdacht auf Mitbeteiligung der Niere bei anderer Systemerkrankung (z. B. Vaskulitis, monoklonale Gammopathie u. a.).

In der Abwesenheit solcher „Red Flags“ wird die CKD gewöhnlicherweise dem Diabetes zugeordnet und entsprechend behandelt. Je nach Stadium der Niereninsuffizienz sollten zwei- bis viermal im Jahr Kontrolluntersuchungen erfolgen.

Risikofaktoren

Bei der Entstehung und Progression einer CKD bei Diabetikern spielen sowohl modifizierbare als auch nicht-modifizierbare Risikofaktoren eine Rolle (Abb. 2). Von zusätzlicher Bedeutung ist, dass die Entstehung einer CKD bei Diabetikern mit einer weiteren deutlichen Erhöhung des ohnehin gesteigerten CV-Risikos verbunden ist. Diabetiker mit CKD zählen damit gemäß aktueller Kategorisierungen der Fachgesellschaften zur höchsten CV-Risikokategorie mit einem Zehn-Jahres-Risiko für CV-bedingte Mortalität > 10 % [19]. Dabei ist das erhöhte CV-Risiko nicht nur auf den DM und die meist bestehende arteriellen Hypertonie zurückzuführen. Vielmehr stellen die eingeschränkte GFR sowie eine erhöhte Albuminurie unabhängige CV-Risikofaktoren dar [17].

Abb. 2: Risikofaktoren für Entstehung und Progression einer CKD, nach [2]

Modifizierbare Risikofaktoren

Nicht modifizierbare Risikofaktoren

  • Albuminurie
  • Hyperglykämie
  • Hypertonie
  • Dyslipidämie
  • Übergewicht
  • Rauchen
  • Oxidativer Stress
  • Inflammation
  • Hohe Proteinzufuhr (diätetische Faktoren)
  • Diabetesdauer
  • hohes Lebensalter
  • männliches Geschlecht
  • hereditäre Gründe (z. B. positive Familienanamnese)

Therapie

Diabetiker mit CKD leiden an einer Multisystemerkrankung mit deutlich erhöhtem CV-Risiko. Aufgrund dessen hat sich das therapeutische Vorgehen zunehmend weg von einer glukozentrischen Behandlungsstrategie hin zu einem multimodalen Therapiekonzept entwickelt. Um den Patienten als Ganzes zu behandeln, bedarf es einer koordinierten multidisziplinäre Behandlung, einschließlich der Primär- und Sekundärprävention weiterer diabetes-assoziierter Komplikationen, wie arterielle Verschlusskrankleiten, Herzinsuffizienz etc. [9, 12, 16].

Zur Prävention bzw. Progressionshemmung der CKD, welche in der Folge auch das CV-Risiko mit minimiert, sind multifaktorielle Maßnahmen etabliert. Hierzu wurde von der globalen Leitlinieninitiative KDIGO in Zusammenarbeit mit der Amerikanischen Diabetes-Gesellschaft ein umfassendes Nieren-Herz-Risikomanagement vorgeschlagen (Abb. 3). Zentrale Bestandteile dieser Behandlungsstrategie sind Optimierung des Lebensstils, eine medikamentöse Erstlinientherapie, die auf die grundsätzliche Prävention kardiovaskulärer und renaler Schädigungen abzielt, sowie weiterführende therapeutische Maßnahmen zur weiteren Optimierung der Risikofaktoren, wie antihypertensive, antihyperglykämische und lipidsenkende Maßnahmen [12, 16].

Lebensstilinterventionen

Hierzu zählen unter anderem:

1. Beendigung des Rauchens,

2. ausgewogene Ernährung mit Empfehlungen zur

  • Proteinaufnahme (0,8 g Protein/kg Körpergewicht; im Falle einer Dialysebehandlung: 1,0–1,2 g Protein/kg Körpergewicht)
  • Salzaufnahme (< 5g Kochsalz/Tag),

3. körperlicher Aktivität (moderate Intensität, kumulative Dauer ≥ 150 min pro Woche),

4. Gewichtsreduktion [9, 11].

Blutzuckerziel und Blutzuckertherapie

Das generelle Management des Diabetes bei CKD sollte sich an patientenspezifischen Faktoren orientieren. Hierzu zählen neben dem vorliegenden CKD-Schweregrad, vaskuläre Komplikationen, Komorbiditäten und Lebenserwartung. Dies gilt ebenso für die individuellen Voraussetzungen hinsichtlich Hyperglykämiewahrnehmung/-management sowie das Hypoglykämierisiko einer Therapie. Daher wird bei CKD statt einem absoluten Zielwerte ein HbA1c-Zielkorridor empfohlen, der in Abhängigkeit von Alter und Komorbiditäten zwischen < 6,5 % und < 8,0 % liegt [12].

Auch die Nationale Versorgungs-Leitlinie (NVL) zum T2DM von 2021 sowie die Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) von 2022 empfehlen das HbA1c-Ziel individuell festzulegen und verschiedene Aspekte (z. B. Lebenserwartung, Alter und Komorbiditäten) in einer individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung zu berücksichtigen [11, 20]. Die NVL weist hierbei explizit darauf hin, dass auf der verfügbaren Studienbasis keine klaren Grenzwerte ableiten lassen [29]. Wenn möglich empfiehlt die DDG Patienten bei T1DM und T2DM zur Reduktion mikrovaskulärer Komplikationen einen HBA1c von ca. 7 % anzustreben. Höhere Zielwerte sind generell akzeptabel bei eingeschränkter Lebenserwartung und wenn die Gefahren der Therapie die Vorteile überwiegen.

Zu beachten ist, dass die Genauigkeit der HbA1c-Messung, als indirektes Messverfahren zur Bestimmung der glykämischen Status, mit fortschreitender Niereninsuffizienz (insbesondere in den Stadien G4 und G5) aufgrund der verkürzten Lebensdauer der Erythrozyten abnimmt. Gerade bei diesen Patienten können kontinuierliche Glucosemonitoring-Systeme eine sinnvolle Ergänzung sein, auch wenn formal von Seiten der Hersteller keine Zulassung besteht [11, 12, 15].

Während bei T1DM eine Insulintherapie indiziert ist, gestaltet sich die Therapie bei T2DM aufgrund der zahlreichen mittlerweile zur Verfügung stehenden oralen Antidiabetika facettenreicher.

Ziel der Erstlinientherapie soll eine über eine alleinige Korrektur des Risikofaktors (z. B. Blutzucker, Blutdruck) hinausgehende Minimierung des renalen und des CV-Risikos sein [12, 16]. Die Entwicklung neuer pharmakotherapeutischer Ansätze in der Diabetestherapie hat hier neue Möglichkeiten und Perspektiven ergeben.

Sodium-Glucose-Transporter 2-Hemmer (SGLT2-I) wurden ursprünglich als orale Antidiabetika zur Behandlung des T2DM entwickelt und zugelassen. Die blutzuckersenkende Wirkung erfolgt über Hemmung des SGLT2 im proximalen Tubulus der Niere, über der der Großteil der glomerulär filtrierten Glukose rückresorbiert wird, sodass sich die renale Glukoseausscheidung erhöht und der Blutzuckerspiegel gesenkt wird [13]. In großen kardiovaskulären Endpunktstudien wurden für diese Substanzen positive Effekte auf CV-assoziierte und renale Endpunkte bei Patienten mit und ohne Diabetes nachgewiesen. Dabei sind diese substanzspezifischen Effekte nicht alleine auf die antihyperglykämische Wirkung, sondern auf zusätzliche pleiotrope Effekte zurückzuführen [21]. Daher sind SGLT2-I inzwischen nicht nur zur Therapie des T2DM, sondern auch für Nicht-Diabetiker in der primären Therapie der Herzinsuffizienz (Empagliflozin, Dapagliflozin) sowie der Niereninsuffizienz (aktuell nur Dapagliflozin) zugelassen (für Empagliflozin steht zum aktuellen Zeitpunkt eine Zulassung noch aus).

Auch für die langwirksamen Glucagon-like peptide 1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) ergaben sich in Studien ähnliche Hinweise zur Reduktion von CV- und renalen Endpunkten. Hinsichtlich einer Progressionshemmung der CKD bei Patienten mit und ohne DM ist die Wirksamkeit der GLP-1-RA aktuell nicht ausreichend belegt, so dass hier bisher keine über die Diabetestherapie hinausgehende Indikationsausweitung erfolgt ist [12].

Auf dieser Grundlage empfiehlt die KDIGO-Leitlinie als Erstlinientherapie bei T2DM mit CKD die Gabe von Metformin und einem SGLT2-I, sofern möglich [12]:

  • Metformin ist bis zu einer eGFR von 30 ml/min/1,73 m2 zugelassen, bei einer eGFR zwischen 44 bis 30 ml/min/1,73 m2 sollte die Dosis auf 2 x 500 mg reduziert werden. Bei Patienten mit einer eGFR von 59 bis 45 ml/min/1,73 m2 und einem erhöhtem Risiko für ein akutes Nierenversagens oder Laktatazidose ist eine Dosisreduktion zu erwägen [12, 20].
  • Eine Therapie mit SGLT2-I sollte bei allen T2DM-Patienten mit einer eGFR ≥ 30 ml/min/1,73 m2 erfolgen; und dies unabhängig von der Blutzuckerkontrolle. Die Therapie sollte, falls toleriert, auch bei im Verlauf fallender eGFR fortgesetzt werden, bis eine Nierenersatztherapie begonnen wird.
  • Sofern zur Glucosesenkung eine weitere Substanz benötigt wird, oder wenn eine SGLT-2I-Therapie nicht möglich ist, sollten GLP1-RA bevorzugt werden.

Die aktuelle NVL ist dahingehend in der Formulierung weniger eindeutig positioniert, was auch einem gewissen Dissens zwischen den beteiligen Fachgesellschaften geschuldet ist [20]: Sie empfehlen bei T2DM-Patienten

  • mit hohem Risiko für eine klinisch relevante kardiovaskuläre Erkrankung: entweder Metformin als Monotherapie oder Metformin plus SGLT2-Hemmer oder plus GLP-1-RA,
  • mit bestehenden relevanten kardiovaskulären Erkrankungen: eine Therapie mit Metformin plus SGLT2-Hemmer oder plus GLP-1-RA. Hierbei soll die Auswahl in Abhängigkeit vom priorisierten Therapieziel getroffen werden [11, 20].

Für Diabetiker mit T2DM und höhergradiger Niereninsuffizienz, die ihre individuellen HBA1c-Ziele nicht erreichen, schlägt die NVL eine zusätzliche Behandlung mit DPP (Dipeptidylpeptidase)-4-Inhibitoren, Gliniden, GLP-1-RA oder Insulin vor.

Generell ist zu beachten, dass Menschen mit DM und CKD ein massiv erhöhtes Risiko für Hypoglykämien haben. Daher sollte die Nierenfunktion stadienabhängig alle 3/6/12 Monate kontrolliert werden und ggf. eine nierenfunktionsadaptierte Dosisanpassung der Antidiabetika erfolgen.

Blutdruckziele und Blutdruckeinstellung

Bei T1DM ist die arterielle Hypertonie meist Zeichen einer beginnenden diabetischen Nephropathie, während bei T2DM die Hypertonie häufig im Rahmen des metabolischen Syndroms besteht. Patienten mit CKD wiederum haben ebenfalls oft eine Hypertonie, wobei die Prävalenz mit zunehmender Nierenfunktionseinschränkung steigt. Ursächlich hierfür sind neben typischen Risikofaktoren eine Überaktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS), eine gesteigerte sympathische Aktivität sowie eine gestörte Natrium- und Volumenelimination [22]. Die Blutdruckeinstellung ist essenziell, um die Progression der CKD und die CV-Morbidität zu reduzieren.

Die European Society of Hypertension (ESH) Leitlinie empfiehlt, dass für alle Menschen ein Blutdruck unter 140/90 mm Hg anzustreben ist [19]. Für Diabetiker mit Hypertonie wird ein systolischer Blutdruck-Zielwert von 130 mmHg oder leicht niedriger empfohlen, sofern der Patient dies gut toleriert. Eine Blutdruckabsenkung unter 120 mmHg soll bei Diabetikern aber vermieden werden.

Die KDIGO hingegen empfiehlt für alle Patienten mit CKD, auch für solche mit Diabetes, einen systolischen Zielblutdruck von < 120mmHg, sofern keine Dialysebehandlung erfolgt [23]. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass klar formuliert wird, dass es sich hierbei um eine Expertenmeinung mit begrenzter Evidenz handelt; Sicherheitsaspekte der Therapie sind zu berücksichtigen.

Aufgrund der Bedeutung des RAAS für die CKD bei Diabetikern sollte eine Therapie ACE (Angiotensin konvertierendes Enzym)-Hemmer oder Angiotensin-II-Rezeptor-1-Blocker (ARB) bei Diabetikern

  1. mit Hypertonie und CKD erfolgen,
  2. ohne Hypertonie mit persistierender Makroalbuminurie (Stadium A3) erfolgen,
  3. ohne Hypertonie mit persistierender Mikroalbuminurie (Stadium A2) in Betracht gezogen werden.

Die Dosis sollte auf die maximal zugelassene oder maximal tolerierte Dosis gesteigert werden. Im Rahmen der Therapie mit ACE-Hemmer bzw. ARB kann ein Anstieg des Serumkreatinins um bis zu 30 % toleriert werden.

Eine Kombination von ACE-Hemmern und ARB sollte aufgrund der erhöhten Nebenwirkungsrisiken (z. B. Hyperkaliämie, Nierenversagen) vermieden werden. Dies gilt ebenso für eine Kombination mit direkten Renininhibitoren [12].

Lipidtherapie

In den aktuellen speziellen Empfehlungen zum DM-Management bei CKD der KDIGO wird zur Senkung der Lipide sowie zur Behandlung des Bluthochdrucks auf die allgemein geltende KDIGO-Leitlinien verwiesen [12, 24]. Hierbei gilt:

  1. Nicht dialysepflichtigen Patienten mit CKD und Diabetes ≥ 18 Jahren wird eine Therapie mit Statin oder Statin/Ezetimib empfohlen.
  2. Bei Dialysepatienten ohne kardiovaskuläre Erkrankungen sollte keine Statintherapie neu begonnen werden. Falls eine Lipidsenker-Therapie bereits vor Dialyse bestand, kann sie fortgeführt werden.

Weitere Möglichkeiten der Progressionshemmung

Die Wirksamkeit der RAAS-Blockade durch ACE-Hemmer oder ARB zur Progressionshemmung bei CKD und zur Risikoreduktion CV-Ereignisse ist seit langem bekannt [22]. Der organoprotektive Effekt wird jedoch durch einen sogenannten Escape-Mechanismus des Aldosteron limitiert, wobei erhöhte Aldosteronspiegel zur Überaktivierung von Mineralokortikoidrezeptoren (MR) führen. Allerdings konnten etablierte Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten (MRA) wie Spironolacton oder Eplerenon in klinischen Studien keinen zusätzlichen Nutzen für die Prognoseverbesserung unter bestehender ACE-Inhibitor/ARB-Therapie bei Patienten mit CKD und Diabetes zeigen [25]. Der neu entwickelte nicht-steroidale MRA Finerenon verfügt über eine höhere MR-Selektivität bzw. -Affinität als frühere MRA. In Studien konnte gezeigt werden, dass Patienten mit T2DM, reduzierter eGFR und Albuminurie hinsichtlich renaler, aber auch CV-bedingter Ereignisse von einer zusätzlich Therapie mit Finerenon profitieren, während sich das Risiko für eine Hyperkaliämie nur moderat erhöhte [26, 27]. In der Folge wurde Finerenon im Jahr 2022 zur Behandlung der CKD im Stadium G3 und 4 mit Albuminurie bei Erwachsenen mit T2DM zugelassen.

Die KDIGO-Leitlinie empfiehlt aktuell die Verwendung bei Patienten mit einer eGFR ≥ 25 ml/min/1,73 m2 und einer UACR ≥ 30 mg/g vorbehaltlich einer bestehenden Normokaliämie. Weitere nicht-steroidale MRA (Apararenon, Esaxerenon) werden derzeit evaluiert [16].

Zusammenfassung

Patienten mit Diabetes und chronischer Nierenerkrankung leiden an einer Multisystemerkrankung mit deutlich erhöhtem CV-Risiko. Hinsichtlich der Prävention Diabetes-assoziierter renaler und kardiovaskulärer Organschäden und Ereignissen hat sich das Spektrum der therapeutischen Möglichkeiten in den vergangenen Jahren deutlich erweitert.

Neben der seit langem bekannten Progessionshemmung durch ACE-Hemmer bzw. ARB stehen nun mit den SGLT-2-Inhibitoren, den GLP-1-RA und den nicht-steroidalen MRA nun innerhalb weniger Jahren völlig neue Optionen in der Primär-und Sekundärprävention zur Verfügung. Bei der Vielzahl der Möglichkeiten muss jedoch bedacht werden:

  1. ACE-Hemmer/ARB, sGLT2-Inhibitoren und der nicht-steroidale-MRA Finerenon verursachen jeweils initiale hämodynamische Reduktionen der GFR. Gegebenenfalls kann es daher notwendig sein, die Hinzunahme und Aufdosierung dieser Medikamente sequentiell durchzuführen
  2. Trotz ihrer positiven renalen und CV-Effekte sind SGLT2-I aufgrund der Gefahr der Ketoazidose bei T1DM nicht zugelassen.
  3. Finerenon ist bei T1DM nicht zugelassen.
  4. Auch wenn die Leitlinien und Empfehlung der verschiedenen nationalen und internationalen Fachgesellschaften in Teilen voneinander abweichen: Morbiditäts- und altersabhängig müssen unterschiedliche Therapieziele angestrebt werden. Die empfohlenen Zielwerte und Therapiestrategien sollten immer nur Ausgangspunkte für die Entwicklung eines individualisierten Therapiekonzeptes für jeden einzelnen Patienten sein. Wichtig ist im Ende, dass die Patienten die Therapie auch im Hinblick auf die Nebenwirkungen tolerieren.

Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Oliver Jung, varisano Klinikum Frankfurt Höchst, E-Mail: oliver.jung@varisano.de

Die Literaturhinweise finden Sie am Ende dieser Seite unter „Artikel herunterladen“ in der PDF-Version dieses Artikels.

Multiple-Choice-Fragen

Die Multiple-Choice-Fragen zu dem Artikel „Nierenerkrankung und Diabetes“ von Prof. Dr. med. Oliver Jung finden Sie am Ende dieser Seite unter „Artikel herunterladen“ in der PDF-Version dieses Artikels und im Portal (https://portal.laekh.de). Die Teilnahme zur Erlangung von Fortbildungspunkten ist ausschließlich online über das Portal vom 25. Juni 2023 bis 24. Dezember 2023 möglich. Die Fortbildung ist mit zwei Punkten zertifiziert. Mit Absenden des Fragebogens bestätigen Sie, dass Sie dieses CME-Modul nicht bereits an anderer Stelle absolviert haben.

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