Von monumental bis verspielt: Lyonel Feininger – Retrospektive in der Frankfurter Schirn

Skeptischer Blick, gewittrig hochgezogene Augenbrauen und ein messerscharf geschnittener Mund: Das Selbstbildnis des deutsch-amerikanischen Malers und Grafikers Lyonel Feininger (1871–1956) war bisher ebenso selten zu sehen wie seine kubistischen Pfeilen ähnelnden Radfahrer oder die erst kürzlich wiederentdeckenden Fotografien des Künstlers. Jetzt sind die Arbeiten im Rahmen einer großen Retrospektive zu sehen, mit der die Schirn Kunsthalle in Frankfurt ein umfassendes Gesamtbild von Feiningers Schaffen zeichnet.

Dass damit auch der Facettenreichtum des vor allem für seine Gemälde monumentaler Architektur bekannten Klassikers der Moderne deutlich wird, ist der faszinierenden Ausstellung zu verdanken, die sowohl bekannte als auch weniger bekannte Werke zeigt.

So finden sich in Feiningers Œuvre neben politischen Karikaturen – etwa jene der in den „Lustigen Blättern“ erschienenen New Yorker Freiheitsstatue, die dem Neuankömmling einen Vorschriftenkatalog entgegenschleudert – auch humorvoll-harmonische Stadtansichten, die „Dame in Mauve“ etwa, und verspielte Zeichnungen – wie die bunten, verkleideten Figuren in „Karneval“ oder die kühl interpretierte architektonische Raffinesse von „Gelmeroda VIII“ , einer Kirche im Weimarer Land. 1919 war Feininger als einer der ersten Meister an das Bauhaus in Weimar berufen worden. Mit dem Titelblatt des Bauhausmanifests, dem Holzschnitt „Kathedrale“, gelang es ihm, den Gründungsgedanken des Bauhauses, die Einheit von Handwerk und Kunst, zu versinnbildlichen. In ihrer Auseinandersetzung mit seiner künstlerischen Entwicklung beleuchtet die Frankfurter Ausstellung auch Feiningers Rolle als erster Bauhauslehrer und Meister grafischer Techniken. Ein besonderer Schwerpunkt der Retrospektive liegt auf seinen zentralen Arbeiten der 1930er-Jahre und dem US-amerikanischen Exil.

Kunsthalle Schirn, Frankfurt: Lyonel Feininger. Retrospektive. Zu sehen bis zum 18. Februar 2024. Informationen unter https://www.schirn.de/ausstellungen/

Geheimnisvolle Lebenslinien – Arbeiten von Victor Man im Städel

Es ist ein wenig so, als schaue man in einen Brunnen. In Grün und Blau getaucht, mutet das Bild „Girl in Love With a Wound“ wie ein düsteres Unterwassergemälde an. Dennoch scheint das klassisch schöne Gesicht der Portraitierten durch gelbliche Farbakzente zu leuchten. So rätselhaft und melancholisch ihr Blick auf dem Betrachter ruht, so geheimnisumwoben sind alle figurativen Gemälde des rumänischen Künstlers Victor Man, der zu den gefragtesten Malern der Gegenwartskunst zählt. Seine Arbeiten enthalten sowohl literarische Referenzen – schon der Titel der Ausstellung „Die Linien des Lebens“ im Frankfurter Städel ist ein Zitat aus Hölderlins Gedicht „An Zimmern“ – als auch kunsthistorische Bezüge.

Die Portraits erinnern an Vorbilder aus der Renaissance und an Ikonenmalerei, das Licht, das die Farben der Gemälde schimmern lässt, wirkt altmeisterlich. Auch wenn sich die Bilder stilistisch schwer einordnen lassen, verwundert es nicht, dass das Städel Museum Mans Arbeiten inmitten der Sammlung Alte Meister präsentiert. Die den vergangenen zehn Jahren seines künstlerischen Schaffens gewidmete Schau nimmt Mans Portraits in den Fokus. Meist in dunkle Szenerien platziert und mit gedankenversunkenem Blick, sind die Porträtierten in eine existenzielle Schwere gehüllt und zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung mit der menschlichen Existenz.

Während die Lippen der jungen Frau auf dem Bild Untitled (Connaissez-vous des Esseintes?) ein angedeutetes Lächeln umspielt, wirkt der Junge im gelb leuchtendem Kaftan (ebenfalls „untitled“) völlig in sich gekehrt. Die Werkserie „The Chandler“ gibt weitere Rätsel auf, wenn der Künstler das immer gleiche Motiv in stets leicht abgewandelter Form abbildet: eine sitzende Figur mit dem Kopf auf ihrem Schoß.

Zu sehen bis zum 4. Februar 2024. Informationen unter https://www.staedelmuseum.de/de

Neue Einblicke in das Leben einer Ikone: „Frida Kahlo. Ihre Fotografien“ in den Opelvillen

Der Kopf mit den kunstvoll geflochten und wie eine Krone hochgesteckten Haaren ist zur Seite gewandt. Neben der Frau in schlichtem Schwarz blickt ein Hund unbestimmt in die gleiche Richtung. Jahrzehnte trennt die Fotografie von jener eines Mädchens im weißen Kleid mit Schleife im Haar, das den Betrachter mit ruhigem, hintergründigen Blick anschaut: Zweimal Frida Kahlo und zwei Bilder aus einer Fülle an Fotografien, die unter dem Titel „Frida Kahlo. Ihre Fotografien“ in den Opelvillen in Rüsselsheim zu sehen sind.

Bis vor kurzem war der fotografische Nachlass der mexikanischen Malerin und Ikone völlig unbekannt. Erst viele Jahre nach Frida Kahlos Tod wurde die Sammlung gesichtet und katalogisiert. Über 6.000 Fotografien, die ihr Leben und das ihrer Familie dokumentieren, befinden sich in dem Nachlass. Um neue Einblicke in Kahlos durch Krankheit, Kunst und politischen Kampf geprägtes Leben zu geben, hat der Fotohistoriker Pablo Ortiz Monasterio 241 private Fotos aus dem Archiv ausgewählt. In der Ausstellung sind die Bilder nach sechs Hauptthemen geordnet, in denen ihre Herkunft, ihr blaues Haus (Casa Azul), Ehemann Diego Rivera und die Revolution, Kahlos geschundener Körper und ihr Faible für die Fotografie beleuchtet werden. Zugleich spiegeln die Exponate auch die künstlerischen Perspektiven anderer Fotografinnen und Fotografen ihrer Zeit wider. Beginnend bei Kahlos Vater Guillermo, der als Fotograf arbeitete und seine Arbeiten an die Tochter vererbte, zählen Aufnahmen von Brassaï, Gisèle Freund, Martin Munkácsi, Tina Modotti oder Man Ray und von Frida Kahlo zu den ausgestellten Bilddokumenten.

Zu sehen bis zum 4. Februar 2024. Informationen unter https://www.opelvillen.de/de/ausstellungen/frida-kahlo-ihre-fotografien/

Ausflugstipp

Auf den Spuren des Großherzogs: Durch den Platanenhain auf der Darmstädter Mathildenhöhe flanieren

Sein Interesse galt der Musik, dem Theater und dem Tanz. Mit dem Ziel „Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst“ gründete der letzte hessische Großherzog Ernst Ludwig 1899 die Darmstädter Künstlerkolonie („Mathildenhöhe“) und förderte als Mäzen unter anderem namhafte Künstler wie Peter Behrens, Hans Christiansen, Joseph Maria Olbrich und Bernhard Hoetger. Eingebettet in eine Parkanlage mit Skulpturen, Brunnen und Gartenpavillons entstanden im Zuge von vier Ausstellungen eine Reihe zukunftsweisender Bauten mit Ausstattung vom Mobiliar bis zum Geschirr. Vom Haus bis zum Garten inszenierten die Künstler begehbare Lebenswelten als ästhetische Gesamtkunstwerke.

Als Teil der schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Prinz Christian angelegten Parkanlage Mathildenhöhe ist der um 1830 angepflanzte Platanenhain bis heute erhalten. Um diesen Hain für die vierte Ausstellung auf der Mathildenhöhe 1914 künstlerisch zu gestalten, wurde Bernhard Hoetger 1911 von Großherzog Ernst Ludwig an die Darmstädter Künstlerkolonie berufen. Hoetger schuf daraufhin ein Gesamtkunstwerk mit Skulpturen, Reliefwänden und Inschriften zu dem Thema Werden und Vergehen – dem Kreislauf allen Lebens. Mit der Umsetzung eines umfassenden Baumsanierungskonzepts trug die Stadt Darmstadt zum Erhalt des UNESCO-Welterbes Mathildenhöhe bei. Nach Beendigung der fast zweijährigen Sanierungsarbeiten kann man inzwischen wieder durch den Platanenhain am Fuß des Hochzeitsturms flanieren – siehe Titelbild dieser Ausgabe.

Leseempfehlungen

Julia Schoch: Das Liebespaar des Jahrhunderts

Der Titel dieses Romans ist trügerisch, denn um eine klassische Liebesgeschichte geht es in dem Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ gerade nicht. Vielmehr erzählt Julia Schorn von dem Verblassen einer langjährigen Liebe. Eine Frau will ihren Mann verlassen und ist zugleich bestürzt darüber, wie es zu dem Entschluss kommen konnte. Sie plant ihr Gehen und denkt dabei an den Beginn der Beziehung, die rauschhafte Verliebtheit der ersten Jahre und die Familiengründung, aber auch an die Momente zurück, die die spätere Entfremdung hätten ahnen lassen können: Eine gut geschriebene, ebenso reflektierte wie schonungslose Analyse

dtv, gebundenes Buch, 22 Euro

Jasmin Lörchner: Nicht nur Heldinnen – 20 Frauen, die Geschichte schrieben

Dieses Buch handelt von Pionierinnen, Abenteurerinnen und Kriegerinnen. Jasmin Lörchner, die Stimme hinter dem Podcast „HerStory“, stellt zwanzig herausragende, faszinierende, aber nicht immer unumstrittene Frauen vor: Von der ägyptischen Herrscherin Hatschepsut über die deutsche Juristin Elisabeth Selbert bis zur chinesischen Piratin Zheng Yisao.

Ihre Protagonistinnen haben Geschichte geschrieben, doch nicht nur als Heldinnen. Während die einen bewundernswert für ihre Ziele kämpften, verfolgten andere vor allem wirtschaftlichen Profit und setzten ihre Interessen rücksichtslos durch.

Herder Verlag, gebunden, 22 Euro

Tonio Schachinger: Echtzeitalter

In seinem mit dem Deutschen Buchpreis 2023 ausgezeichneten Roman erzählt Tonio Schachinger von einer Jugend zwischen Gaming und Klassikerlektüre, von Freiheitslust, die sich bewähren muss gegen flammende Traditionalisten: Humorvoll, dabei zwischen spöttischer Distanz und Einfühlungsvermögen hin und herchangierend.

Till Kokorda, Schüler eines elitären, in der ehemaligen Sommerresidenz der Habsburger untergebrachten Wiener Internats, kann mit seinem snobistischen Umfeld nicht viel anfangen. Seine Leidenschaft sind Computerspiele, konkret: das Echtzeit-Strategiespiel Age of Empires 2. Ohne dass jemand aus seiner Umgebung davon wüsste, ist er mit fünfzehn eine Online-Berühmtheit, der jüngste Top-10-Spieler der Welt. Doch nicht nur er sieht sich vor ungeahnte Herausforderungen gestellt.

Rowohlt, gebundenes Buch, 24 Euro

Katja Möhrle